Manchmal passen Lektüren einfach zueinander. Das Buch von John Garth ist natürlich in erster Linie eins darüber, wie der Große Krieg, wie der erste Weltkrieg in England und Frankreich genannt wird, die Mythologie von J. R. R. Tolkien beeinflusst hat. Ich habe es aber quasi unmittelbar nach dem Kleinen Etymologicum von Kristin Kopf gelesen – und das hat sich als Glücksfall erwiesen, denn so konnte ich der Begeisterung des jungen J. R. R. Tolkien viel besser folgen.
John Garth schildert, wie der Junge und junge Mann Tolkien sich mit Sprachgeschichte, mit Morphologie, mit Semantik und Lautverschiebungen befasst, bis dahin, dass er so um 1915 eine eigene Sprache – Qenya – entwickelt. Es ist nicht seine erste, aber die am besten durchdachte und entwickelte, mit eigenen Lautgesetzen, mit Regeln und einer eigenen Entwicklungsgeschichte, analog zu dem, was zwischen Indogermanisch und Englisch liegt. Dazu liest er vorzugsweise alte, bis sehr alte Text; in seiner Prüfung etwas mit Shakespeare zu tun zu haben, ist ihm eindeutig zu modern … zu seiner Lieblingslektüre gehörte u. a. die finnische Sagenwelt, die im 19. Jahrhundert Elias Lönnrot als Kalevala zusammenstellte.
John Garth folgt J. R.R. Tolkien den ganzen Weg über bis in den Krieg und darüber hinaus. Er schildert seinen Freundeskreis, deren Reaktionen auf seine ersten Schritte als Sprachschaffer und Autor. Erst gegen Ende seines Studiums findet Tolkien die ihm gemäße Form, die Verbindung von wissenschaftlicher Präzision mit seinem Faible für alte Geschichte, für Feen, Kobolde und Drachen – in der Erschaffung einer eigenen Mytholgie, verbunden mit der Sprache Qenya.
John Garth zeichnet weiter nach, wie die Erfahrung des Kriegs auf Tolkien wirkt und weist nach, dass die andere Welt, die Tolkien sich da erschafft, seine Reaktion auf die Erfahrungen des Großen Kriegs sind. Dabei nimmt er Bezug auf die Freundschaften, die sich aus der Schulzeit bis in die Nachkriegzeit halten, er zeichnet die Lektüre Tolkiens nach – alle Einflüsse, denen Tolkien von Jugend bis Kriesgende 1919 ausgesetzt war. Und erst hier – im zweiten Teil des Buches und nach rund 200 Seiten – gerät Tolkien selber ins Kriegsgeschehen, erlebt er das Frontgeschehen, Grabenkrieg, besonders die grausame, blutige Schlacht an der Somme.
Ein erhellendes Buch – mit Einblicken in die Kriegserlebnisse junger Engländer, die an anderen Stellen nicht so ausführlich dargestellt werden. Vielleicht eher was für Spezialisten – insgesamt aber ein gut lesbares, interessantes Buch.
John Garth: Tolkien und der erste Weltkrieg. Das Tor zu Mittelerde, übersetzt von Birgit Herden und Marcel Aubron-Bülles, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2014, ISBN: 9783408960594
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