Gerd Krumeich nimmt sich den Monat vor Kriegsausbruch zur Brust – die Julikrise. Das Besondere seines Buchs: Die Hälfte besteht aus 50 „Schlüsseldokumenten“. Da kann ich selber nachlesen, welche Randbemerkungen Wilhelm II auf die Depeschen gekritzelt hat und was genau Serbien auf das Ultimatum geantwortet hat.
Die Fragen, denen Gerd Krumeich nachgeht, zielen auf die Diplomatie hinter der offiziellen Diplomatie z. B.: Was hat Deutschland mit der „Lokalisierung“ beabsichtigt und wer regiert eigentlich wirklich in Berlin? Im ersten Teil geht er auf einen Aspekt ein, der ebenfalls wichtig ist: Welche Vorstellungen von Krieg gab es 1914? Hätten sich Politiker und Militärs gegen den Krieg gestellt, wenn sie seine Ausmaße geahnt hätten? Gerd Krumeich sagt: Ja. Der Krieg sah in den Planungen 2 Millionen Soldaten vor – kurz und heftig sollte er sein. 10 Millionen Tote konnte sich niemand vorstellen.
In der Darstellung des Geschehens nutzt der Auor jede Menge Dokumente, um seine Aussagen zu belegen – er zitiert sie im Text, so dass seine Gedankengänge nachvollziehbar sind. Bei den Dokumenten, die im zweiten Teil vollständig abgedruckt sind, kann ich dann den Kontext noch weiter überprüfen.
Die Fußnoten sind sehr spannend, denn hier findet ein Teil der Auseinandersetzung mit anderen Autoren statt. Deshalb ist es gut, dass sie in alter Tradition auf den Seiten erscheinen und nicht in einem Anhang. Gerade Lob und Kritik zu Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ machen „Juli 1914“ zu einem aktuellen Beitrag in der Diskussion. Schnell wird hier deutlich, wie komplex die Sachverhalte vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren und dass einfache Lösungen keine Lösung sind. Spannend dazu auch ein Inteview mit Gerd Krumeich bei der Gerda-Henkel-Stiftung.
Gerd Krumeichs Bilanz der Juli-Krise ist der Versuch, das Geschehen in den vier Wochen zwischen Attentat und Kriegsausbruch schlüssig und vollständig vorzustellen. Sehr spannend, gut zu lesen und im Dialog mit anderen Autoren – besonders Christopher Clark – ein kleines Kuntwerk.
Gerd Krumeich ist Mitbegründer des Historial de la Grande Guerre – einem Museum an der Somme zum Ersten Weltkrieg. Außerdem ist er Mitherausgber der Enzyklopädie Erster Weltkrieg.
Gerd Krumeich: Juli 1914. Eine Bilanz, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn, 2014, ISBN: 9783506775924
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