Viviane Élisabeth Fauville von Julia Deck

Viviane Élisabeth Fauville von Julia Deck

Irritierend setzt die Erzählung ein – es scheint, als spräche Julia Deck ihre Leserinnen an. Doch die sind nicht gemeint. Es geht um Viviane, die ihren zweiten Vornamen nur gelegentlich einsetzt. Viviane erzählt – sich selber schildernd, dabei mit den unterschiedlichen Personalpronomen jonglierend. Kurz vor ihrem Zusammenbruch liest sich das so:

Vergeblich versuchen Sie, sich zu konzentrieren, so tief wie möglich einzuatmen, die Luft gelangt nicht mehr in Ihre Lunge. Sie strömt nur dumm zurück und weigert sich, eingeatmet zu werden. Sie wenden Ihre ganze Energie auf, um den Sauerstoff zu zwingen, den Weg Ihrer Luftröhre einzuschlagen, aber er weigert sich standhaft, und Sie erinnern sich nicht, je etwas Unangenehmeres erlebt zu haben.

Ist es nun ein Krimi oder eine psychologische Studie? Es ist doch klar, dass Viviane die Mörderin ist – oder? Viviane lebt mit ihrer drei Monate alten Tochter seit kurzem allein, hat sich getrennt. Sie will zurück in ihren Beruf. Sie will Normalität. Ihr Psychotherapeut reagiert auf ihre Äußerungen gelangweilt – Viviane kann das nicht länger ertragen. Und dann passiert etwas. Woran sie sich am nächstn Tag glasklar erinnert.

Eine Metrostation in Paris - eine Station auf dem Weg Vivianes. Foto: Rainer Sturm/pixelio.de
Eine Metrostation in Paris – eine Station auf dem Weg Vivianes. Foto: https://www.pixelio.de/media/605540

Nachdem der Ermordete gefunden wurde, dreht sich Vivianes Leben nur noch um die Einzelheiten – was hat sie gemacht, wie kann sie die Mordwaffe loswerden, was wissen die Ehefrau und die Geliebte, was andere Patienten? Sie irrt durch Paris, kurz und knapp schildert Julia Deck ihre Wege, zählt Straßen und Metrotationen auf – gerade dadurch wirken die Gänge Viviannes besonders ziellos. In Polizeiverhören verwickelt sich Vivane in Widersprüche – lebt ihre Mutter noch oder nicht? Die kleine Tochter überlässt sie schon mal sich selbst, gibt ihr Beruhigungsmittel, damit die Kleine lange genug schläft und sie, Viviane, ihre Verfolgungen schaffen kann.

Der Stil von Julia Deck ist knapp, trocken, nüchtern, schnell. Der Wechsel der Personalpronomen ist kein Wechsel der Erzählperspektive – es ist immer die Innensicht Vivianes. So kommt der Schluss – Zusammenbruch, Auflösung der Frage nach dem Mord – gleichzeitig überraschend und nicht.

Ein spannendes Debut!

Julia Deck: Viviane Élisabeth Fauville, übersetzt von Anne Weber, Klaus Wagenbach Verlag, Berlin, 2013. ISBN: 9783803132512

Dies Besprechung gehört in die Reihe der Blogparade „12 Bücher in 12 Monaten„.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

  • Eva Maria Nielsen

    12. Februar 2014 at 19:59 Antworten

    Das Buch scheint verlockend zu sein, vor allem wegen der eigenwilligen Innensicht. Ich mag es, wenn Bücher mich in eine Welt entführen, die ich noch nicht kenne und die mir auch fern liegt. Danke für denTipp!

    • Heike Baller

      13. Februar 2014 at 7:49 Antworten

      Ja, es ist sehr eigenwillig und besonders. Was mich mal interessieren würde: Wie es jemand liest, der Paris gut kennt und diese Wege nachvollziehen kann, auf denen sie durch die Stadt irrt.

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