Der Churchill-Faktor von Boris Johnson

Der Churchill-Faktor von Boris Johnson

Boris Johnson – das ist doch der Mann, der den Brexit um alles in der Welt will, oder? Ja, genau – und der hat ein Buch über Winston Churchill geschrieben. Schon vor einiger Zeit …

Was schreibt Boris Johnson?

Er schreibt keine Biographie über Winston Chruchill – das wäre ihm zu läppisch. Nein Boris Johnson schreibt eine Lobeshymne. Und das tut er auf seine Weise – also eher laut.

Ausgangspunkt ist das Jahr, in dem Winston Churchill Premierminister wurde – 1940. Von diesem Punkt aus erkundet Boris Johnson das Leben seines Vorbilds. Er geht auf die familiäre Situation ein – nicht so ganz einfach mit solchen Eltern … Er schildert den Mann in doppelter Funktion: Militärangehöriger und gleichzeitig Journalist an der Front – an verschiedenen Fronten, denn Winston Churchill hat einiges an Kriegen mit gemacht. All‘ die den Menschen in Großbritannien vertrauten Geschichten packt er aus. Seine politischen Kehrtwenden – erst Tory, dann Liberaler, dann wieder Tory – sind Thema. Hier macht Boris Johnson deutlich: Winston Churchill hat sich nicht so sehr verändert in den Jahrzehnten seiner poltischen Laufbahn – die Torys und die Welt haben sich verändert.

Winston Churchill wechselt Ministerämter wie andere Leute um 1921 - von dann stmmat die Karikatur - ihre Hüte. Boris Johnson findet das großartig in seinem buch
Eine Karikatur von 1921, die die verschiedenen Ministerämter Churchills aufs Korn nimmt

Neben dem Mut (s. u. „Wie schreibt Boris Johnson?“) befasst sich der Fan Churchills mit dessen unglaublichem Fleiß und seinem permanenten Schreiben. Winston Chrurchill hat mehrere Bücher verfasst, war als Journalist unterwegs, hat unzählige Eingaben, Vorshläge usw. im Parlament gemacht – er schrieb, bzw. diktierte, wo er ging und stand. Sein Werke umfassen oft mehrere Bände …

Aber Boris Johnson erzählt nicht einfach ein Leben nach. Er dramatisiert, er verzögert, er schweift ab.

Damit bin ich schon bei;

Wie schreibt Boris Johnson?

Genauso: Unterhaltsam, detailverliebt, wo es ihm passt und sehr sehr persönlich.

Zur Abschweifung: Winston Churchill war ein früher Fan des Fliegens, ist auch selbst geflogen – das zu einer Zeit, als es wirklich noch ein Abenteuer war. Auch abgestürzt ist er – diese Geschichte nimmt Boris Johnson zum Anlass, über den Mut und Wagemut Churchills zu sprechen. Kurz vor der zu erwartenden Katstrophe mit dem Flugzeug geht er erst einmal auf die ganzen Geschichten rund um Churchills Mut im Krieg ein. Der Flugzeugabsturz – aus niedriger Höhe, ist danach nur halb so dramatisch. Auch wenn Winston Churchill Blessuren davonträgt.

Um die Arbeitskraft Churchills zu demonstrieren, versetzt er mich als Leserin die Rolle einer Sekretärin Churchills und schildert die Szenen, indem er mich als Leserin direkt anspricht:

„Kommen Sie schon,“ sagt Inches, der Butler. „Er hat schon nach Ihnen gerufen und er mag es nicht, wenn er zweimal rufen muss“ (…) Nehmen wir mal an, Sie sind Anfang Zwanzig. Sie sind eine hübsche junge Frau aus der Provinz mit flachen Schuhen und einem schlichten Rock und machen sich nicht allzu viel aus Schmuck oder Makeup. Sie waren nicht auf der Universitä, aber Sie schreiben gut Steno und tippen wie ein Weltmeister.

S. 229

So zieht er mich in den Tagsablauf eines Manes hinein, der Weltgeschichte schrieb und entfaltet vor meinen Augen das exzentrische Prozedere eines Mannes, der quasi ständig arbeitet. Als eine der möglichen Sekretärinnen bin ich nicht nur im Arbeitszimmer tätig, sondern auch im Bad, im Schlafzimmer und im Auto – ständig schreibe ich mit, korrigiere, lege vor und bringe die endgültig korrigierte Fassung in den gefragten Endzustand: Brief oder Artikel oder Eingabe oder Buchkapitel oder oder oder

Was besonders auffällt: Die offensichtlichen Ähnlichkeiten zwischen Autor und Portraitiertem. Genüsslich walzt Boris Johnson die Rücksichtslosigkeit – vor allem in Worten – Churchills aus, betont die auch schon zu seiner Zeit mangelnde politische Korrektheit. Und jubelt Churchill die eigenen europakritischen Ansichten unter – so erschien es mir jedenfalls. Ob Churchill nun wirklich so dachte, weiß ich nicht.

Warum rezensiere ich ein Buch von Boris Johnson?

Anlass für diese Rezension war ein Beitrag in der SZ (SZplus) über Zitate aus Johnsons Mund – besonders spektakulär, da er bisher gute Chancen hatte, der nächste Vorsitzende der Torys und damit Premierminister zu werden. Er äußerte sich in der Vergangenheit mehr als einmal rüde, obszön und völlig undiplomatisch. Einige der Zitate können Sie auch beim Telegraph nachlesen. Seine Lügen in Sachen Brexit haben ihm sogar eine Anklage eingebracht. Seine Ansichten bringt er auch als Zeitungskolumnist unters Volks – z. B. seine Kritik an Barack Obama, als der zu einem Verbleib in der EU riet. Ziemlich krude Behauptungen. Und das in einer Boulevard-Zeitung, ähnlich wie der BILD in Deutschland. Der nächste Premier Großbritanniens?

Boris Johnson sieht eine Menge Ähnlichkeiten zwischen Winston Churchill und sich selbst, auch wenn er zugibt, die Schuhe seien ihm zu groß. Aber kokettiert er da nicht? Neben dem rüden Ton in der politischen Auseinandersetzung hat auch Boris Johnson sich als Autor verschiedener Bücher hervorgetan, darunter ein satirischer Roman.

Boris Johnson mit demModell eines roten Busses für London
Dieses Bild ist in Wikimedia Cmmons mit „Campaigning“ unterschrieben. Es geht um Busse für London. Ein Wahlversprechen, das er hielt. Jerry Daykin (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Boris_Johnson_-holding_a_red_model_bus_-2007.jpg), „Boris Johnson -holding a red model bus -2007“, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/legalcode

Alles in allem ein spannender, wenn auch kein sympathischer Mensch, so als Person in der politischen Öffentlichkeit (mehr weiß ich ja auch nicht). Es kann sein, dass wir noch viel mehr von ihm zu hören und zu sehen bekommen werden, als in den letzten Jahren.

Sein Buch hab ich auf jeden Fall mit einem Teil Vergnügen und Faszination und einem Teil Schrecken gelesen …

Boris Johnson: Der Churchill-Faktor, übersetzt von Norbert Juraschitz und Werner Roller, Klett-Cotta, Suttgart, 2015, ISBN: 9783608948981

Die Stadtbibliothek Köln hat den Titel als E-Book und als Hardcover.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • Sabine Wirth

    8. Juli 2019 at 11:40 Antworten

    Liebe Heike,
    es wäre interessant, das Buch mal im Original zu lesen. Es sei denn, es wäre zu schwierig.

    Liebe Grüße von

    Sabine

    • Heike Baller

      8. Juli 2019 at 14:39 Antworten

      Liebe Sabine,
      da hast Du recht. Aber ich sähe mich dem nicht gewachsen.
      Einen Eindruck vom Autor zum Buch gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=9ciSjn2AzN8
      Das Buch heißt auf Englisch wie auf Deutsch: The Churchill-Factor.

      Liebe Grüße
      Heike

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