Astrid Lindgren von Birgit Dankert

Astrid Lindgren von Birgit Dankert

Morgen ist Astrid Lindgrens Geburtstag – der 106. Im September erschien eine neue Biographie über die beliebteste Kinderbuch-Autorin aller Zeiten. Warum das? Wissen wir nicht eh‘ schon alles über die Entstehung von Pippi Langstrumpf, den elterlichen Hof in Näs?

Wir wissen viel, meint Birgit Dankert, aber nicht viel über die Hintergründe. Die Hintergründe des Schreibens von Astrid Lindgtrens, manche Hintergründe in ihrem Leben. Ihre Biographie folgt dem Lebenslauf der Autorin, bezieht aber immer wieder das Schreiben mit ein – reflektiert Figuren und ihre Funktionen, weist auf Stilisierungen hin. Kindheit in Astrid Lindgrens Büchern ist nicht 1:1 das Kinderleben der Astrid Ericssson und ihrer Geschwister – sie „stilisiert ihre Kindheit auf eine Aussage, auf ein Sprachgebilde, auf die willentlich beschlossene Interpretation des Gelebten, Gehörten, Erträumten, Erwünschten hin“ (S. 42f). So ordnet sie Figuren bestimmten „Chronotopen“ zu – Michel lebt in einer vorindustriellen Zeit, die Kinder aus der Krachmacherstraße mitten im 20. Jahrhundert. Aber egal, in welcher Zeit ihre Figuren leben: Astrid Lindgren nimmt sie ernst mit ihren Wünschen und Träumen, ihren Erfahrungen und Bedürfnissen und mit ihren Ängsten. Dazu gehören auch Erfahrungen, die manche Eltern von ihren Kindern lieber fernhalten wollen: Krankheit wie in „Die Brüder Löwenherz“, Verlassenheit wie in „Mio, mein Mio“, Trunkenheit wie bei manchen Randfiguren (Friedrich mit dem Fuß bei „Kalle Blomqusit“, der Schuster in den Bullerbü-Büchern). Noch stärker kommen diese Elemente in ihren Märchen zum Ausdruck –  das „Land der Dämmerung“ als Trostort für die benachteiligten Kinder.

Eine Schreibmotivation Astrid Lindgrens war, Kindern zu helfen, sie zu trösten; Birgit Dankert zitiert eine solche Geschichte, die Astrid Lindgren selbst erzählt hat: Wenn sie nicht schlafen konnte, hat sie sich solche Geschichten ausgedacht – als Bauersfrau im 19. Jahrhundert lebend, die ein Gemeindekind zugewiesen bekommt, das furchtbare Angst vor Strafe hat und bei ihr das erste Mal fürsorglich behandelt wird. Da kommen zwei Trostarten zum Vorschein: Das Kind zu trösten und ihm zu helfen, aber auch Astrid Lindgren selbst bekam bei solchen Geschichten ein gutes Gefühl von ihrer Macht und ihren Fähigkeiten. Birgit Dankerts Interpretation geht dahin, dass viel von Astrid Lindgrens Schreiben mit Melancholie und Depression zu tun hat.

Aber eben auch mit Kampf für gewaltfreie Erziehung von Kindern. Damit hat sie 1948 angefangen – in ihrer Reaktion auf Kritik an Pippi Langstrumpf – und hörte 1978 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels noch lange nicht auf.

Neben diesen beiden Elementen tritt eine dritte Facette von Astrid Lindgren bei Birgit Dankerts Buch sehr deutlich in Erscheinung: ihre Geschäftstüchtigkeit. „Pippi Langstrumpf“ ist schon lange als Marke geschützt. Ihre Familie hat schon zu ihren Lebzeiten mit einem eigenen Verlag und mit einer Astrid-Lindgren-Welt die Vermarktung ihrer Figuren selbst in die Hand genommen. Auch das Kinderbuchhaus Junibakken in Stockholm mit seinem Geschichtenzug ist in Absrpache mit Astrid Lindgren entstanden, ja, der Kommentar für die Zugfahrt ist in Kooperation mit Marit Törnquist, der Kuratorin, der letzte Text Astrid Lindgrens überhaupt.

Birgit Dankerts Interpretation von Astrid Lindgrens Leben hat mich sehr fasziniert. Als mir das mit der Melancholie mal zu viel wurde, habe ich meine Märchensammlung in die Hand genommen und meine sonstigen Erinnerungen Revue passieren lassen und festgestellt: Doch, da ist was dran. Nachdenkenswert. Ich kann diese Biographie wirklich empfehlen.

Birgit Dankert: Astrid Lindgren: Eine lebenslange Kindheit, Lambert Schneider Verlag (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt, 2013, ISBN: 9783650255266

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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