2016 sind im Karl-May-Verlag einige „phantastische“ Bücher erschienen, zu denen auch diese von Thomas Le Blanc herausgegeben Anthologie zählt. 20 Autorinnen und Autoren haben Figuren Karl Mays in magische oder phantastische Szenarien gesetzt. Wollte Karl May heute faszinieren, müsste er Fantasy schreiben, da die von ihm beschriebene, damals unbekannte, unerreichbare Welt so bekannt geworden ist – Unbekanntes bieten nur noch Magie und Phantastik. Das ist die Grundannahme, die Thomas Le Blanc im Vorwort ausführt.
Nun bin ich ja eher die Wild-West-Geschichten-Leserin und deshalb froh, dass trotz des Reihennamens „Karl May magischer Orient“ auch Indianer vertreten sind – die zweite Hälfte des Buches widmet sich Old Shatterhand & Co. Und gleich die erste Geschichte, die aufschlug, hat mich wirklich begeistert: Tanja Kinkel schildert in „Lehrmeister“, wie Klekhi-Petra zu den Apatschen kam. Als phantstisches Element findet sich eine überstandene Gefahr, die eigentlich nicht zu überstehen war; ansonsten hat die erfahrene Autorin historischer Romane die Schilderung des alten Mannes aus Winnetou I genommen, um sein Engagement und die damit verbundene Manipulation junger Menschen für mehr Demokratie und Freiheit auszumalen, mitsamt seinem schlechten Gewissen.
Auch mein Freund Sir David Lindsay hat einen Auftritt, der sich gewaschen hat – da ist nix mehr von der etwas klamaukigen Figur übrig gebleiben, wenn er sich mit einem Bösewicht auf „Wetten unter Gentlemen“ einlässt; Kai Focke hat das eindrücklich geschildert.
Die Trappernamen einiger Titelhelden greifen das vertraute „Old …“-Muster auf: „Old Undeath“ und „Old Onehand“ – für Abwechslung im Wilden Westen der phantastischen Sorte ist gesorgt.
Im Orient haben die Gefahren der Schotts es einigen Autoren angetan: In „Die Weisheit des Hadschi Halef Omar“ von Maike Braun spielt es eine Hauptrolle und in „Fata Morgana“ von Hans-Dieter Furrer wird eins erwartet – was Kara Ben Nemsi und Halef dann aber entdecken, ist ein Blick in die Zukunft, die uns nicht mehr so fern erscheint. Wirklich sehr geglückt fand ich die Geschichte um einen Journalisten, Karl May und Halef, in der die Zeitebenen sich unmerklich verschieben: „Das Vermächtnis des Kara“ von Jacqueline Montemurri. Thomas Le Blanc scheint sich mehr im Orient heimisch zu fühlen, denn er hat zum ersten Teil des Buches zwei Beträge verfasst – „Merhamehs Tochter“ und „Allein mit Qendressa“; er führt u. a. Orks in Mays Kosmos ein …
Nein, ich will jetzt nicht alle 23 Geschichten nacherzählen – wenn Sie sich im Karl-May-Kosmos auskennen, werden Sie Spaß haben.
Thomas Le Blanc (Hg.): Auf phantastischen Pfaden. Eine Anthologie mit den Figuren Karl Mays, Karl May Verlag, Bamberg, 2016, ISBN: 9783780225993
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