Zum 130. Todestag von E. Marlitt

Zum 130. Todestag von E. Marlitt

Die Gartenlaube (1868) b 021
So wurde E. Marlitt n ihren Lesern und Leserinnen vertraut – Bilder von ihr gibt es sonst so gut wie gar nicht. In dem Text unten wird sie als die Autorin der „Goldelse“ und „Das Geheimnis der alten Mamsell“ vorgestellt
Heute vor 130 starb die Starautorin der „Gartenlaube„; E. Marlitt hatte seit 1866 bis zu ihrem Tod für diese Familienzeitschrift geschrieben. Ihre Titel waren so erfolgreich, dass sich die Auflage der Zeitschrift während ihrer Schaffenszeit vervielfachte. Und sie gehört zu den Autorinnen, denen ich in meiner Kindheit begegnete (natürlich nur den Büchern …) und treu geblieben bin. Ja, ich stehe dazu – ich mag die Marlitt.

Im April wollte ich Ihnen eigentlich die Romanbiografie „Die Rache der alten Mamsell“ von Herrad Schenk vorstellen; las sie noch einmal mit großem Vergnügen und stellte dann fest, dass ich das Buch bereits in der Anfangszeit meines Blogs vorgestellt hatte 😉

Was kann einer Frau des 21. Jahrhunderts an den alten Scharteken interessant erscheinen, fragen Sie sich? Nun gut, ich hab einen Hang zu Kitsch und Abenteuerliteratur – denken Sie nur an meine Reihen über Karl May im Herbst und Winter. Wenn das aber das einzige Kriterium wäre, müsste ich auch die Bücher der Frau goutieren können, die mit E. Marlitt oft in einem Atemzug genannt wird: Hedwig Courths-Mahler. Und das kann ich nicht. Deren Stil ist mir zu vage, zu schwülstig und der Gehalt so was von nicht vorhanden – Sie sehen, ich hab’s versucht 😉

Nun ist Marlitts Stil auch nicht gerade elegant oder im engerene Sinne literarisch; sie schildert manches sehr präzise, oft sehr stimmungsvoll und übertritt dabei so manches Mal die Grenze – eben zum Kitsch. Und das wurde auch zu ihrer Zeit schon so gesehen. Fontane hat sich entsprechend geäußert; ich ziehe das bekannte Zitat aus der Wikipedia:

„Die Sachen von der Marlitt (…) Personen, die ich gar nicht als Schriftsteller gelten lasse, erleben nicht nur zahlreiche Auflagen, sondern werden auch womöglich ins Vorder- und Hinterindische übersetzt; um mich kümmert sich keine Katze.“ Theodor Fontane  (Brief an Emilie Fontane, vom 15. Juni 1879)

Warum hat E. Marlitt geschrieben? Und was wollte sie mit ihren Büchern?

Geld verdienen war das eine; ihre Pension als gewesene Hofdame war nicht üppig, ihre Gesangskarriere musste sie aufgeben. Hinzu kam ihre Krankheit – Arthritis machte sie unbeweglich, bis hin zum Rollstuhl.

Aber sie wollte auch was sagen. Ganz klar hat sie sich in ihrer Zeit positioniert

  • gegen den Dünkel des Adels
  • gegen den skrupellosen Aufstiegswillen im Bürgertum
  • gegen die Machtbestrebungen der Kirche, besonders der katholischen
  • gegen, global gesagt, die soziale Ungerechtigkeit

Und das  alles in so einfachen Liebesgeschichten?

Ja. Wobei – sooo einfach sind ihre Geschichten nun auch wieder nicht gestrickt. Ich möchte Ihnen das anhand einiger Lektüreerfahrungen zeigen.

Das Geheimnis der alten Mamsell

Die Gartenlaube (1853) 001
Was für ein Idyll – so sollte sich die Leserschaft der „Gartenlaube“ sehen.
Das war mein erster Kontakt mit E. Marlitt – eine Leseclub-Ausgabe im elterlichen Bücherschrank.

Was habe ich mit der armen Fee gelitten. Was habe ich die dünkelhafte Frau Helbig verabscheut. Aber worum geht es noch? Frau Helbig ist der Ausdruck heuchlerischer Frömmigkeit schlechthin; E. Marlitt führt in den Worten und Taten von Fee und der alten Mamsell freies Denken und Fühlen sowie ethische Gesinnung als Gegenbild vor.

Neben alltäglicher Heuchelei entpuppt sich das ehrenwerte Haus dann noch als Hort des Verbrechens – was dann nur die „guten“ Charaktere zum Handeln zwingt.

Im Hause des Kommerzienrates

Der Titel im Titel lässt schon ahnen, in welchen Sphären  wir uns bewegen: großbürgerlich, reich und angesehen. Doch gleich am Anfang kommt es zu einer unschönen Szene, die ein Schlaglicht auf die Prioritäten einiger Figuren wirft: Es geht um Geld. Eigentlich wäre ja zu erwarten gewesen, dass als positiver Gegenpol zum gierigen Großbürger der Müller eine aufrechte Seele ist; weit gefehlt – er ist der Gierigste von allen. Seine Enkelin Käthe muss das erfahren – aufgewachsen fern der Heimat hat sie andere Prinzipien erlernt und sieht sich nun in ständigem Konflikt mit ihrer Verwandtschaft. „Hoch“ und „niedrig“ sind auch beim Geldadel relevante Kategorien zur Akzeptanz oder Ablehnung von Menschen. Der Kommerzienrat entpuppt sich als Schwächling. Die Industrialisierung mit ihren sozialen Folgen greift in die Lebensführung der Reichen ein. Der Kontakt mit den Arbeitern ist nicht konfliktfrei 😉

Ich hatte als Kind eine gekürzte Fassng des Buchs und kann noch heute in der ungekürzten Fassung die Passagen markieren, die für mich bei deren erster Lektüre „neu“ waren.

Reichsgräfin Gisela

Hier bewegen wir uns einerseits in hochadligen Kreisen – auf der anderen Seite stehen die Dorfbewohner, die im Hüttenwerk arbeiten und die Pfarrersfamilie. Gleich zu Beginn wird ein Verbrechen geschildert, dessen Folgen die Personen in ihrem weiteren Leben bestimmen. Ich lasse die Geschichte um die Gräfin jetzt mal beiseite, in meinem Kontext hier ist das Engagement einer Figur, die von Brasilien aus Einfluss auf das Leben im Thüriger Wald nimmt, viel spannender: Der neue Hüttenbesitze aus Überseee baut nicht nur schmucke Häuser für die Arbeiter, sondern bietet ihnen auch Bildung, in Form von einer Bücherei z. B. Er fördert freien Gedankenaustausch in Vereinen.

Güldene Brücke 1
Uns erscheint das idyllisch – in „Reichsgräfin Gisela“ werden die Schmelzwasser vielen Menschen zur Bedrohung. Christoph Radtke, Güldene Brücke 1, CC BY 3.0

E. Marlitt entwickelt am Anfang des Romans eine schaurige, realistische Szenerie, als sie schildert, wie sich Wetterunbilden auf die Lebenserwartung der Menschen auswirken, die auf den Höhen des Thüringer Waldes oder nahe den Gewässern wohnen: Schneemassen schneiden Siedlungen von der Außenwelt ab, Schmelzwasser führen zu Überschwemmungen und jede nur ein bisschen geringere Ernte hat Hunger und Tod im Gefolge. Das ist nix zum Zurücklehnen – das hat Anflüge vom Weberlied. Und das ging bis ins 20.Jahrhundert so. Mein Vater und seine Familie wurden nach dem Krieg und der Flucht in einem thüringischen Dorf angesiedelt – sie haben unter Schmerzen erfahren, wie es ist, wenn es nicht genug gibt, schon mal gar nicht genug, um noch was an Flüchtlinge abzugeben.

Fazit

Mag E. Marlitt auch sprachlich manchmal etwas schwülstig daherkommen, ihre Bücher haben durchaus Anliegen, nehmen Bezug auf die gesellschaftliche Situation. Nur unterhalten wollte sie nicht. Bilden wollte sie. Deshalb sind ihre Frauengestalten auch so plastisch, im Positiven wie im Negativen. Ihr Ideal war der frei denkende Mensch, der aus Überzeugung moralisch und liebevoll agierte – und das Ideal galt für Männer wie Frauen. (Ja, ihr Frauenbild, ihre Vorstellung vom „Frauenberuf“, wie es immer heißt, ist nicht mit unserem vergleichbar – aber „die mitringende Gefährtin“, die sich Dr. Bruck „Im Hause des Kommerzienrates“ wünscht, ist eben nicht nur Heimchen am Herde). So gibt es die trivialen Elemente in ihren Büchern, aber eben auch die anderen. Für mich sind die Bücher der Marlitt gute alte Bekannte, ein bisschen schrullig vielleicht, aber im Großen und Ganzen liebenswert.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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