Was mir als erstes auffiel: Der Ton, in dem Klaus Modick Stimmungen schildert – leicht an Rilke erinnernd. Und das hat mir gefallen, denn wie ich schon mal schrieb: Ich mag Rilke.
Zwei Aber gegenüber dem Roman
Und jetzt kommt das erste goße Aber:
Klaus Modick erzäht hier aus der Perspektive von Heinrich Vogeler und der hegt zum Zeitpunkt des Erzählens gegenüber Rilke große Skepsis. So steht Rilke mir als Leserin vor allem als Snob, als Egomane und Übersensibelchen vor Augen. Noch dazu sind Vogelers Gedanken zu manchem Gedicht Rilkes sehr abwertend. Das hat mich echt gestört. Um den Roman genießen zu können – und er ist durchaus etwas zum Genießen -, musste ich also von meiner Vorliebe für Rilke absehen und mich auf Vogelers Perspektive einlassen. Dass der Stil Modicks andererseits gelegentlich an Rilke gemahnt, kommt nicht von ungefähr: Als Quelle dienten ihm unter anderem auch dessen Tagebücher. Und die fragmentarischen Lebenserinnerungen von Vogeler.
Hier komme ich zu meinem zweiten Aber gegenüber dem Buch:
Es ist innerhalb recht kurzer Zeit der dritte Titel, in dem reale Leben anhand von Tagebüchern, Briefen etc. in Romanform gepackt werden: Nach Ostende von Volker Weidermann war es noch Pfaueninsel von Thomas Hettche, ein im Wortsinne ausgezeichneter Roman. Die Balance zwischen dem fiktionalen Teil und dem belegten ist in allen drei Fällen schwierig. Bei „Konzert ohne Dichter“ gibt es verstärkt einen Wechsel zwischen der Innensicht Vogelers und den Kommentaren des Erzählers, der auch mit Bewertungen (besonders gegenüber Rilke 😉 ) nicht zurückhält. Ich mag das nicht immer – an manchen Stellen erschien es mir unpassend – da erinnerte das Buch eher an eine Biographie (das gleiche Problem hatte ich mit manchen Passagen bei „Ostende“).
Zwischenzeitlich war ich so irritiert, dass ich zu meinen alten Rilke-Biographien gegriffen habe, in dem Inselbändchen „Dir“ mit Gedichten von Heinrich Vogeler geblättert habe (kein Wunder, dass er sich von denen später distanziert hat, ehrlich gesagt), eine kurze Darstellung der Worpsweder Künstlerkolonie mit zahlreichen Abbildungen angeschaut habe – alles, um den merkwürdigen Ton von Klaus Modick einzuordnen.
Aber losgelassen hat mich das Buch nicht – ich habe es zu Ende gelesen und es auch genossen. So kleine Sottisen wie
Als nunmehr jungem Vater war auch ihm (Rilke, d. V.) der Übergang zur zweiten Schönheit nicht erspart geblieben. (S. 221)
sind einfach zu gut (auch wenn sie gegen einen meiner Lieblingsdichter gehen).
Thema des Romans
In Ankündigung und Klappentext wird immer wieder auf die Dreiecksbeziehung von Rilke zu Paula Becker und Clara Westhoff verwiesen. Das ist in meinen Augen aber nicht das eigentliche Thema, sondern eher Auslöser für die Themen, um die es tatsächlich geht – und die betreffen sehr stark Heinrich Vogeler:
- Das Zerbrechen einer Freundschaft, die sich als Wahl- oder Seelenverwandtschaft gerierte und doch auf Missverständnissen beruhte.
- Der Selbstzweifel eines Künstlers, der als erfolgreicher Mann seine vielseitigen Fähigkeiten in Frage stellt und einen neuen Weg sucht (den er später tatsächlich im Kommunismus findet).
Klaus Modick gelingt es, das Innenleben Vogelers in seiner Zerrissenheit spürbar zu machen.
Allen meinen zwischenzeitlichen Zweifeln zum Trotz: ein lesenswertes Buch (und wer Rilke nicht so mag wie ich, hat sicher noch weniger Probleme damit 😉 )
Klaus Modik: Konzert ohne Dichter, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2015, ISBN: 9783642047417
Titel der zu Rate gezogenen Bücher
- Arnold Bauer: Rainer Maria Rilke, in der Reihe: Köpfe des 20. Jahrhunderts, Bd. 59, Edition Colloquium, Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin, 1998, ISBN: 389166978X
- Wolfgang Leppmann: Rilke. Sein Leben, seine Welt, sein Werk, Schertz Verlag, München 1981, ISBN: 3502184070
- Jürgen Schultze: Worpswede, Berghaus Verlag, Ramerding, 1981, ISBN: 3763500995
- Heinrich Vogeler: Dir, Insel Verlag, Frankfurt a. M., 1987, ISBN: 3458190724
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