Alte Sorten von Ewald Arenz

Alte Sorten von Ewald Arenz

Ewald Arenz – da war doch was? Und zwar was Positives! Also kaufte ich das Buch. Und?

Großartig!

Was erzählt Ewald Arenz?

Er hat zwei Außenseiterinnen geschaffen, zwei starke Frauen – eine noch in den Teenie-Jahren, die andere deutlich älter. Sally ist weggelaufen und trifft Liss am Weinberg. Liss bittet sie um Hilfe. Und zwar „echt“ – das ist es, was Sally auffällt. Am Ende der Aktion bietet Liss Sally an, auf ihrem Hof zu übernachten.

So kommen sie zueinander – aber bis Vertrauen wächst, bis Nähe entsteht, vergeht Zeit.

Der gesamte Roman umfasst die Zeit vom 1. September bis zum 15. Okober, von sommerlich warmen Tage bis hin zu kalten Herbstnächten. Sechs Wochen, die allen Beteiligten – auch mir als Leserin – deutlich länger vorkommen. Es geschieht wenig und so viel zu gleich. Die äußere Handlung ist – nun ja, nicht so ereignisreich:

  • Sally bleibt bei Liss und lernt etwas über Landwirtschaft: Obstsorten, Hühnerhaltung, Bienenhaltung, Kartoffel- und Weinernte. Sie arbeitet nach einiger Zeit mit.
  • Sally erkundet die Gegend, bekommt mit, dass Liss eine gemiedene Einzelgängerin im Dorf ist.
  • Die Eltern von Sally finden dann doch heraus, wo ihre Tochter steckt und schaffen es, sie wieder nach Hause zu holen.
  • Dann komt doch so was wie ein Showdown. Und obwohl die beiden sich anschreien, ist es ein leiser Showdown.
  • Eingebettet sind Rückblicke in Liss‘ und Sallys Leben.

Was eigentlich passiert, ist die Annäherung der beiden. Schon am Anfang wird Sally deutlich, dass Liss nicht so ist, wie andere:

„Kannst du eben mit anfassen?“ Die Frage war so unvermittelt gekommenn, dass Sally zusammenschrak. Dabei war sie völlig ruhig gestellt worden, wie eine echte Frage, ohne eine Aufforderung. Keine Frage, in der – so wie eigentlich immer – schon ein Befehl steckte.

S. 10

Ewald Arenz faltet diesen Unterschied dann aus. Wie er überhaupt das Innenerleben der beiden in den Mittelpunkt stellt. Da ist vor allem die große Scheu beider vor Nähe.

Und nein, es gibt kein „schönes“ Hapy End. Es gibt Perspektiven. Für beide. Ergebnis jeweils offen. Aber Perspektiven – das ist mehr als sie zu Beginn hatten.

Wie erzählt Ewald Arenz?

Bildkräftig – das war mein erster Eindruck auf der ersten Seite:

Auf den abgeernteten, von Stoppeln glänzenden Feldern stand der Weizen noch als überwältigender Geruch nach Stroh; staubig, gelb, satt. Der Mais begann, trocken zu werden, und sein Rascheln im leichten Sommerwind klang nicht mehr grün, sondern wurde an den Rändern heiser und wisprig.

S. 5

Das ist die eine Seite – Naturschilderungen vom Feinsten. Das andere ist der innere Monolog, das innere Erleben der Figuren, in das Ewald Arenz mich hineinzieht. Oder die erschreckend klaren Aussagen, mit denen auch ich, als „normale Frau Mitte 50“, nachvollziehen kann, was in den beiden vorgeht. Nach den Vorwürfen der Eltern – ein Rückblick bei Sally -, sie sei krank, da sie nicht äße, steht da:

Denkt ihr, ich bin dünn, weil ich schön sein will? (…) Versteht ihr nicht (…) Ich esse doch nur deshalb nicht, weil hier nichts schmecken kann.

S. 130 f

Mit „hier“ meint sie das Zuhause, das ihre Eltern bieten und das sie komplett ablehnt.

Petersbirne - eine der Alten Sorten aus dem Roman von Ewald Arenz. Sally mag sie gern.
Die Petersbirne ist die erste Birne, die Sally bei Liss zu essen bekommt – sie ist sehr aromatisch. I, Hedwig Storch (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maloideae_pear_Petersbirne_10_Juli_2003.jpg), „Maloideae pear Petersbirne 10 Juli 2003“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

Dass Ewald Arenz nicht nur „schön“ schreiben kann, stellt er bei den inneren Monologen – besonders bei Sally – eindrücklich unter Beweis. Der Ton der junge Frau ist durchaus rüde. Dem trägt der Autor mit einem freien Schreibstil Rechnung, in dem die Gedanken nur notdürftig in eine Reihenfolge kommen, weil sie sich überstürzen.

Ich hab, den Kauf nicht bereut 😉

Ach so – der Titel: Liss hat einen ummauerten Garten mit alten Obstbäumen, lauter alte Sorten. Das ist der eine Aspekt. Alte Sorten haben so ihre Eigenheiten. Das ist der andere 😉

Ewald Arenz: Alte Sorten, DuMont Buchverlag, Köln, 2019, ISBN: 9783832183813

Auch die Kölner Stadbibliothek hat das Buch.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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