Tja, bei Frau Gablé kann man lernen, dass „unready“ nicht „unfertig“ sondern „unberaten“ oder eben „ratlos“ bedeutet. Das mit dem Löwenherzen kann man in der Regel schon eher zuordnen. Auf rund 230 Seiten fasst Rebecca Gablé in ihrem Buch „Von Ratlosen und Löwenherzen“ übersichtlich, kenntnisreich und unterhaltsam die englische Geschichte von 450 bis 1485 zusammen.
Für mich ist ihr Stil immer ein bisschen so, als säße mir eine nette Bekannte gegenüber, die mir lebhaft und begeistert was erzählt. Hier eben englisches Mittelalter. Das liegt an der direkten Ansprache und v. a. an ihrem Mitgefühl, wenn bspw. für uns unaussprechliche angelsächsische Namen auftauchen:
Diese Unzufriedenen wurden von Æthelreds Mutter angeführt. (Sie wollen wissen, wie sie hieß? Bitte, auf eigene Gefahr: Ihr Name war Ælfthryth.*) (Von Ratlosen und Löwenherzen, S. 20)
*Nachdem ich den Namen nun selber geschrieben habe, erkenne ich eine gewisse Nähe zu „Elfriede“ – oder?
Bildkräftig und rasant ist der Erzählstil – statt lang aus formalen Briefen zu zitieren, paraphrasiert sie sie in Alltagssprache:
Den Lehnseid kannst du vergessen, Cousin, ließ König Edward ausrichten.
Na schön, sagte Philipp von Frankreich, dann erkläre ich dich eben für enteignet und Aquitanien fällt an die Krone. Die französische Krone, meine ich natürlich.
Ach, wirklich?, schrieb Edward zurück. (Von Ratlosen und Löwenherzen, S.152)
Ein weiterer Krieg in der langen Folge von Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich nimmt – deutlich später als nach dem zitierten Briefwechsel zu erwarten – seinen Lauf.
Wer Rebecca Gablés Romane aus dem mittelalterlichen England gelesen hat, erkennt im Laufe des Buches viele Bekannte wieder. Schließlich ist das englische Mittelalter ihr Hauptarbeitsgebiet (gewesen, denn mit dem letzten Waringham-Roman ist sie bis an den Beginn der Renaissance vorgedrungen und der neue Roman, der im September erschienen ist, spielt in Deutschland! Im Mittelalter ;-)).
Jedes Kapitel endet mit einem Blick auf das Alltagsleben der Menschen in den Dörfern und Städten, auf kulturelle Entwicklungen und die Wirtschaft. Nicht immer alles in einem Kapitel, aber alles kommt zur Sprache. Rebecca Gablé macht die Rechtspraxis des Wergeldes verständlich, berichtet von den literarischen Ereignissen der Zeit.
Andere Bücher mit einer solchen Themenfülle sind groß und schwer und oft auch schwer zu lesen – „Von Ratlosen und Löwenherzen“ passt bequem in jede größere Handtasche. Die Kapiteleinteilung nach Herrschergeschlechtern ist nicht besonders kleinteilig, aber zur Ergänzung gibt es hinten im Bauch noch eine Zeittafel. Der Umschlag birgt dazu noch den Stammbaum der englischen Könige im fraglichen Zeitraum – hilfreich, wenn ein Henry auf den andern folgt und die Übersicht darunter leidet.
In meiner Familie ist das Buch überaus beliebt – der Nachwuchs hat nach der ersten Lektüre den Wunsch geäußert, Frau Gablé möge „sowas“ doch mal für die deutsche Geschichte schreiben. Leider sah sie sich (bisher?) dazu außerstande, gab aber Empfehlungen für interessante Bücher zur deutschen Geschichte. Nur sind die
- atens viel, viel umfangreicher als ihr schmaler roter Band und
- btens wenn auch auch für historische Texte locker geschrieben, bei weitem nicht so unterhaltsam wie „Von Ratlosen und Löwenherzen“.
Ich kann das Buch allen am englischen Mittelalter Interessierten und die eher einen Überblick wünschen nur wärmstens empfehlen!
Rabecca Gablé. Von Ratlosen und Löwenherzen, Ehrenwirth, Bergisch Gladbach, 2008, ISBN: 9783431037555
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