Taube Nuss von Alexander Görsdorf

Taube Nuss von Alexander Görsdorf

„Du mnamorambargh oder waran?“

Haben Sie das verstanden?

Dann vielleicht: „Hallo, schmannoaak. Ich bringamaotaft larks, michein?“

Auch nicht?

Dann geht es Ihnen wie Alexander Görsdorf. Das ist es nämlich, was er jahrelang hörte: Unverständliche Wortpartikel, manchmal nur Konsonanten – nichts, was der Kommunikation diente.

Alexander Görsdorf ist seit seiner Kindheit schwerhörig. Im Laufe der Jahre ertaubte er mehr und mehr. Immer wieder irritierten seine Nachfragen – „Sag das noch mal, bitte“ – seine Mitmenschen. Schwerhörigkeit ist ja quasi unsichtbar. Auch andere Unannehmlichkeiten kamen hinzu: So unterstellte ihm ein Mann, er wolle ihm die Freundin ausspannen. Und das „nur“, weil Alexander mit seinem Blick an ihren Lippen klebte – er muss halt das, was er hört mit dem Lesen von Lippenbewegungen ergänzen, um überhaupt die Chance zu haben, etwas zu verstehen. Seine Freunde machten sich zeitweise Sorgen, weil er – der gern gut aß –  in Gesellschaft nur noch Eintopf und ähnlich leicht löffelbare Speisen zu sich nahm. Das hatte denselben Grund. Um an einer Unterhaltung zu partizipieren, benötigt Alexander Görsdorf seine Augen – die hat er dann nicht frei, um einen Fisch zu filetieren oder mehrere Komponenten einer Mahlzeit gesellschaftstauglich in den Mund zu befördern.

2009 begann Alexander Görsdorf sein Blog „Not quite like Beethoven“ – die Geschichte des ertaubenden Ludwig van Beethoven hat ihn beschäftigt. Dieser ist an seiner Einschränkung schier verzweifelt – das wollte Alexander Glörsdorf nicht. So kam der Name zustande. Er schildert seine Erfahrungen als Schwerhöriger – persönlich, unterhaltsam, informativ.

Nun ist sein Buch mit dem Titel „Taube Nuss. Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen“ erschienen – und es ist toll zu lesen. Ich bin richtig gefangen gewesen in seinen Schilderungen, wie er seine Einschränkung als Kind und Jugendlicher erlebt hat, wie er mit den vielen Missverständnissen umgegangen ist und welche Konsequenz er daraus gezogen hat. Denn eine Konsequenz zieht er: Er lässt sich ein Cochleaimplantat einsetzen. In einem eingeschobenen Tagebuch schildert er unmittelbar die Erfahrungen mit der OP und der Zeit danach. Einschließlich der Frage eines Kollegen, der meint, er trüge ein Headset zu Diensten der Firmenleitung. Humor kommt also nicht zu kurz.

Da hier so viel Sachwissen vermittelt wird, habe ich das Buch als Sachbuch kategorisiert. Es ist aber auch unterhaltsam und emotional.

Alexander Görsdorf: Taube Nuss. Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen,  Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2013, ISBN: 9783499616006

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

  • not quite like beethoven

    31. Oktober 2013 at 10:42 Antworten

    Schöner Text, vielen Dank. Freue mich, dass das Buch spannende Lektüre war. Übrigens finde ich es als Sachbuch völlig richtig einsortiert, genauso ist es gedacht: Als erzählendes Sachbuch (nicht etwa als Biographie).

    • Heike Baller

      31. Oktober 2013 at 10:51 Antworten

      Danke für die Rückmeldung. Ich schau jetzt auch gelegentlich bei Notquitelikebeethoven vorbei – bin neugierig geworden ;-).

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