Die Münchmeyer-Romane von Karl May – Das Waldröschen

Die Münchmeyer-Romane von Karl May – Das Waldröschen

Unter dem Titel „Waldröschen oder Die Rächerjagd rund um die Erde“ veröffentlichte Karl May in den Jahren 1882-84 den ersten seiner Münchmeyer-Romane und das unter dem Pseudonym Capitain Ramon Diaz de la Escosura, denn da er schon einen Namen als Schriftsteller hatte, wollte er mit den Kolportageromanen lieber nicht in Verbindung gebracht werden. Dem zweiteiligen Titel folgte ein Untertitel: „Großer Enthüllungsroman über die Geheimnisse der menschlichen Gesellschaft“ – damit war allen nur denkbaren Themen Tor und Tür geöffnet.

Faszinierend finde ich das „Waldröschen“ im Titel, denn man muss schon sehr gut acht geben, um die titelgebende Szene nicht zu überlesen. Doch der Reihe nach:

Der Inhalt

Der Roman beginnt mit der Reise des Arztes Karl Sternau zum Schloss Rodriganda in Spanien, wo er den erblindeten Grafen Emanuel de Rodriganda operieren soll. Initiatorin ist dessen Tochter Rosa, die Karl Sternau in Paris kennen und lieben gelernt hatte – ihrerseits unter der Vorspiegelung, sie sei die Zofe der Rosa de Rodriganda. Ursache ihres Hilferufs ist der Umstand, dass ihr Bruder zusammen mit dem Anwalt Gasparino Cortejo seinerseits eine Operation beim Grafen anberaumt hat. Rosa misstraut ihnen allen – zu Recht, wie der Lauf der folgenden verwickelten Handlung erweisen wird. Kurz gesagt: die Cortejos – Gasparino Cortejo in Rodriganda zusammen mit seiner Partnerin, der Stiftsdame Donna Clarissa, und dem vorgeblichen Sohn des Grafen, Don Alfonzo, der aber deren eigener Sohn ist und Pablo Cortejo, der in Mexiko im Dienst Ferdinando de Rodrigandas steht zusammen mit seiner Tochter Josefa – wollen die gräflichen Brüder Manuel und Ferdinando de Rodriganda um Leben und Besitz und Titel bringen. Die Cortejos schüren ihren Hass gegen die de Rodrigandas und scheuen weder getürkte Operationen noch Gifte noch den Einsatz des gewieften Piraten Landola. Die blinde Grafen Emanuel wird operiert, erkennt seinen vorgeblichen Sohn nicht, bekommt Gift, wird für tot erklärt, auch seine Tochter Rosa erhält das Gift, das wahnsinnig macht und beide werden verschleppt. Und gegen das alles stemmt sich erst mal Karl Sternau allein.

Eine erste Etappe: Sternau hat  den Grafen Emanuel von seiner Blindheit befreit - und nun gehts erst richtig los
Eine erste Etappe: Sternau hat den Grafen Emanuel von seiner Blindheit befreit – und nun gehts erst richtig los

In Mexiko lassen die anderen Cortejos Don Ferdinando verschwinden. Mehrere Indianerhäuptlinge und ein Westmann deutscher Herkunft geraten in diese Auseinandersetzung hinein, genau wie Karl Sternau, der als „Fürst der Bleichgesichter“ ebenfalls Westmannsmeriten verdient hat und sich nach der Rettung Rosas daran macht, das Geheimnis um Don Ferdinando zu enträtseln.

Zwischenzeitlich gibt es einen Rückblick auf Ereignisse, die 30 Jahre zuvor passiert sind und die den Hass der Cortejas  gegenüber der Familie der Rodriganda erläutern – der Zwist geht auf eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Vätern zurück, bei der Henrico Cortejo ums Leben kam. Außerdem erfahren wir etwas über die eigentliche Herkunft des Karl Sternau, von der er selber nichts ahnt. Zur Ruhephase in diesem ersten Teil gehört auch die Handlung in Rheinswalden, wo die Familie Karl Sternaus und die des deutschen Westmannes Helmers leben. In Abwesenheit von Karl Sternau wird seine Tochter geboren, die mit dem Neffen Kurt des Westmanns Helmes gemeinsam aufwächst; in diesem Zusammenhang entdecken wir dann das „Waldröschen“. In Mexiko endet dieser Teil damit, dass Don Ferdinando nach Harrar in die Sklaverei verkauft und die Gruppe der Cortejo-Verfolger vom Piraten Landola auf eine einsame Insel gesteckt wird; eigentlich sollte er sie alle töten, doch da er den Cortejo-Brüder nicht traut, die diesen Auftrag erteilt haben, behält er sich die lebenden Geiseln in der Hinterhand. Die Helden der ersten Generation müssen rund 16 Jahre unbeobachtet auf dieser Insel verbringen, bis mit Kurt Helmers der zukünftige Retter erwachsen ist.

Noch ein paar Nebenhandlungen gefällig?

  • Der Sohn des Hausherrn in Rheinswalden hat sich mit seinem Vater überworfen, ist mit Karl Sternau befreundet und lernt den spanischen Grafen Olsunna und vor allem dessen Tochter kennen. Durch seine Vermittlung operiert Karl Sternau den Grafen, ohne zu wissen, dass es sich um seinen leiblichen Vater handelt.
  • In Paris gibt es den Garroteur Gérard, den es im Laufe der Zeit nach Mexiko verschlägt, wo er sich politisch engagiert; er figuriert dort unter dem Namen der „schwarze Gérard“ und verliebt sich in die Tochter eines deutschstämmigen Gastwirts quasi am Rande der Wüste, der von dem Herumstreuner nichts wissen will und seine Zustimmung erst gibt, nachdem das Pseudonym gelüftet ist.
  • Genau wie der Oberst in Rheinswalden und sein Diener Ludwig gehört auch dieser Gastwirt zu den komischen Figuren des Romans; in die gleiche Kategorie zählt auch der Diener Alimpo aus Rodriganda mit seiner Frau Elvira und in gewisser Hinsicht auch Trapper Geierschnabel, zumindest auf seiner Deutschlandreise.
Schon als kleiner Bub zeigt Kurt Helmers Heldenqualitäten, denn er schießt allein einen Luchs, was ihm erst mal keine glaubt.
Schon als kleiner Bub zeigt Kurt Helmers Heldenqualitäten, denn er schießt allein einen Luchs, was ihm erst mal keine glaubt.

Kurt Helmers, um auf die Haupthandlung zurückzukommen, ist Offizier, macht mit Hilfe Geierschnabels Spione dingfest, unterhält sich mit Bismarck und Wilhelm I, bekommt einen Posten im Garderegiment, wo er als Bürgerlicher einen schweren Stand hat und erfährt  – zufällig 😉 – von Dingen, die mit der Geschichte seiner Familie zu tun haben. Deshalb macht er sich auf die Reise nach Mexiko, um die Verschollenen zu finden. Bis dahin hat es gedauert, bis sich auf der einsamen Insel was tut – sie haben Bäume gezogen, um ein Floß zu bauen, eine der Frauen will es nachts bei Sturm vertäuen, treibt ab und wird in Harrar in die Sklaverei verkauft. Dort sitzt – ebenfalls schon ein halbes Menschenalter – Don Ferdinando fest, der die Tochter seines Pächters erkennt und mit ihr und dem Gärtner aus Rodriganda, der auch von Landola – der Pirat, Sie erinnern sich? – nach Harrar verkauft worden war. Karl Sternau und seine Gefährten werden entdeckt und erlöst und alle reisen nach Mexiko – Rache an, bzw. Strafe für die Cortejos ist ihrer aller Ziel. Bis das soweit ist, gehen noch einige Abenteuer ins Land; die politische Situation in Mexiko – der habsburgische Prinz Maximilian, der als Kaiser von Mexiko von Napoleons III Gnaden fungiert und hingerichtet wird, sowie Benito Juarez, der erste Mann indianischer Abstammung in einem politischen Amt in Mexiko – tangieren erneut das Geschehen. Letztlich ist schon in den vor- und vorvorletzten Kapiteln alles klar – doch es muss noch eine regelrechte Auflösung geben und die gibt es in Form eines Maskenballs auf Rheinswalden, in dem jeder Topf seinen Deckel bekommt (ehrlich gesagt: das schwächste Kapitel des ganzen Romans).

Ausgaben

In der Ausgabe des Karl-May-Verlags aus meiner Jugend gab es diese Geschichte in fünf Bänden, beginnend mit „Schloss Rodriganda“ und endend mit „Der sterbende Kaiserr“. Hier erschien der Hass der Cortejos auf die Brüder de Rodriganda als Naturereignis, völlig unmotiviert. In den 80er Jahren stieß ich auf die Faksimilie-Ausgabe der Olms-Presse in der Stadtbibliothek Köln – da habe ich das erste Mal die gesamte Handlung kennengelernt und nicht schlecht gestaunt;-). Diesen unmotivierten, dafür aber unauslöschlichen Hass fand ich schon als Kind merkwürdig. Aber letztlich fand ich das nicht so wichtig – Karl May bietet in diesem ersten seiner Münchmeyer-Romane so viel Spannung, Abwechslung und auch Humorvolles, dass es mich zumindest nicht störte. Inzwischen stehen in meinem Regal zehn Bände „Waldröschen“ und zwar aus dem Verlag Neues Leben, Berlin, in einer Ausgabe aus den neunziger Jahren. Auch ihm liegt die von Fischer bearbeitete Fassung von 1901 zugrunde. Allerdings habe ich bei Ausgaben der Old-Surehand-Bände diese Verlags feststellen müssen, dass dort nun andere Passagen fehlen – die ganzen Diskussionen zu Glaube und Beten mit Old Wabble und Old Surehand sind dort gestrichen; es handelt sich aber um Ausgaben aus den 80er Jahren, also noch DDR-Zeit, weshalb das evtl. auf die politischen Umstände zurückzuführen ist.

Wer die Titellisten am Ende der Bände des Karl-May-Verlags verfolgt hat, konnte in den letzten Jahren feststellen, dass sie immer länger wurde. Mit dem Band „Die Kinder des Herzogs“ ist nun auch die Vorgeschichte der beiden Brüderpaare nachzulesen. Um die ursprüngliche Reihenfolge einzuhalten, empfiehlt sich dessen Lektüre wohl nach dem Band „Schloss Rodriganda“.

Den vollständigen Text in der ursprünglichen Fassung bietet seit einige Jahren die historisch-kritische Werkausgabe; das „Waldröschen“ ist dort mit 6 Bänden publiziert worden.

Zur Orientierung im unübersichtlichen Personentableau kann im Karl-May-Wiki in der rechten Spalte die Rubrik „Personen“ weiterhelfen. Auch zu Handlungssträngen gibt es dort eigene Einträge.

Persönlicher Eindruck

Ein solches Wort vom König - großer Erfolg für Kurt Helmers in Berlin
Ein solches Wort vom König – großer Erfolg für Kurt Helmers in Berlin

Auch wenn Rosa de Rodriganda ein typisches Frauenklischee von Karl May erfüllt, ist es doch letztlich sie, die mit ihrem Brief an Karl Sternau die Handlung in Gang setzt; damit geht ihre Rolle über das rein Dekorative und Schützenswerte, da sonst die Frauenfiguren bei Karl May kennzeichnet, etwas hinaus.

Wenn man die Geschichte in der Folge liest, wie sie als Kolportage veröffentlicht wurde, fällt auf, wie gewagt Karl May in der Handlung hin und her springt – da den Überblick zu bewahren, war für die Leserinnen , die ja nur in Abständen die neuen Lieferungen erhielten, sicher nicht leicht. Und für den Autor auch nicht. Ich habe schon Kind bewundert, wie er die Fäden zusammenhält und etwas scheinbar Unbedeutendes dann doch im Gesamtgefüge einen Platz erhält – das gilt z. B. für die Handlung in Paris, wo auch Karl Sternau einiges erlebt. Nur gegen Ende lässt der Spannungsbogen rapide nach – das ist übrigens bei allen Münchmeyer-Romanen so; offensichtlich, so meine Erklärung als Jugendliche, hatte Karl May keine Lust, alle Fäden sorgsam zu entwirren, weil er schon an der nächsten spannenden Geschichte saß. Dass die Entwirrung in der Originalfassung eher schwierig würde, war mir damals noch nicht bewusst – logisch, ich kannte sie ja noch nicht -, denn es gab im Laufe der Handlung doch einige Brüche und Widersprüche, die in der Ausgabe des Karl-May-Verlags teilweise geglättet oder eben rausgeworfen wurden.

Wenn Sie der ganze Text des Waldröschens auf Grundlage der Bearbeitung von  Adalbert Fischer, dem Nachfolger des Verlegers Münchmeyer, interessiert – bitte hier oder hier entlang.

Linksammlung

PS: Man merkt meiner Bildauswahl schon an, dass ich eine Schwäche für Kurt habe, oder?

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

3 Comments

  • Maike

    1. Juli 2016 at 16:57 Antworten

    Oh, herrlich – und diese Illustrationen! Danke für den schönen Beitrag, der bei mir wirklich nostalgische Gefühle wachgerufen und mich dabei auch sehr zum Schmunzeln gebracht hat. Ich war seinerzeit übrigens zunächst ein Fan von Mariano (ein wohlerzogener musikalischer Räuber? Das hat doch was!), fand es aber eher schade, dass er samt dem Rest der mittleren Generation dann irgendwann nur noch auf Rettung warten darf …

    • Heike Baller

      6. Juli 2016 at 9:15 Antworten

      Liebe Maike, sorry, dass ich erst heute antworte … Mariano fand ich eher langweilig. Insgesamt hat mich diese 16-Jahre-Robinsonade schon sehr früh etwas geärgert. Dafür hatte ich ein echtes Faible für die Passagen in Berlin und Frankfurt – Kurt halt 😉 Und Trapper Geierschnabel! Diese Verlagerung von Abenteuer in eine „normale“ Umgebung hat mich fasziniert. Denk nur mal an die Bahnfahrt von Geierschnabel und den Offizieren – Bürokratie meets Wild West.

  • Maike

    6. Juli 2016 at 22:39 Antworten

    Oh ja, Trapper Geierschnabel ist wirklich herrlich!

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