1937 erschien der „Franz-Ferdinand-Roman“ von Ludwig Winder zuerst – aber weder im Deutschen Reich noch in Österreich, sondern in der Schweiz, denn Ludwig Winder war Jude.
Franz Ferdinand, der Thronfolger Franz Josephs, war ein widersprüchlicher Mann. Was geschehen wäre, wenn er Kaiser geworden wäre, ist Gegenstand vieler Spekulationen – einen kurzen Einblick finden Sie auf einer Website zu den Habsburgern.
Ein dickleibiger Roman – oder doch eine Biographie? – ist da entstanden. Beginnend mit den Kindheitstraumata der leiblichen Mutter Maria Annuziata von Neapel-Sizilien, der Tochter des Rè Bomba, die früh an einer Lungenkrankheit stirbt; ihren Kindern, den Neffen und der Nichte von Kaiser Franz Joseph, vererbt sie die kränkliche Konstitution. Dann folgt die Geschichte von Kindheit und Jugend – der misstrauische Bub schließt sich erst nach langem Werben seiner Stiefmutter Marie Therese von Portugal an. Aber auch als junger Mann, als Offizier, bleibt Franz Ferdinand ein, vorsichtig ausgedrückt, spröder Charakter. Nach dem Tod von Kronprinz Rudolph gilt er als Nachfolger; auf die offizielle Anerkennung dieses Status muss er allerdings noch neun Jahre warten – bis er als geheilt gilt. Da das Verhältnis zwischen Kaiser und Thronfolger von gegenseitiger Antipathie geprägt war, empfand er diese Zeit als Demütigung. Und nicht nur diese Zeit. Als er dann endlich installiert ist, kann er politisch immer noch nichts melden. Seine Ideen über die Einbindung der Slawen ins Reich behält er für sich. Unvostellbar, sich darüber mit dem Kaiser auszutauschen, der von der Vorrangstellung von Deutschen und Ungarn im Vielvölkerstaat überzeugt ist.
Franz Ferdinand ist auch im Roman von Luwig Winder keine Lichtgestalt. Seine Frustrationen lebt er als Jäger aus – er knallt ab, was immer ihm vor die Flinte kommt.
Richtig menschlich wird er erst, als er seiner späteren Frau begegnet, der Gräfin Chotek. Um sie ehelichen zu können, muss er Widerstände überwinden und am 28.6.1900 unterschreiben, dass die Kinder aus dieser Ehe nicht als Thronerben berücksichtigt werden.
Ludwig Winder lässt uns teilhaben am Hofleben Wiens (soweit es Franz Feridnand betraf), einschließlich der Intrigen und Heuchelei. Es ist ein wirklich lesenswertes Buch, um bestimmte Aspekte der Zeit vor dem ersten Weltkrieg noch mal einordnen zu können. Im Gegensatz zur serbischen Propaganda der Zeit und zum dem, was in unseren Köpfen an Halbwissen herunmschwirrt, war Franz Ferdinand kein Kriegstreiber, schon gar nicht gegen die Slawen. Er war ein unglücklicher Mensch, er war schwieirg, unsympathsich für das Gros der Menschen, die mit ihm zu tun hatten – eine spannende Figur, der Ludwig Winder da nachspürt. Lesenswert!
Ludwig Winder: Der Thronfolger. Ein Franz-Ferdinand-Roman, Zsolnay Verlag, Wien, 2014, ISBN: 9783552056732
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