Inhalt des Beitrags
Tja, „Drachenbanner“ von Rebecca Gablé erfüllt meine Erwartungen mal wieder vollständig – auch die, dass zwischen „Teufelskrone“ und „Das Lächeln der Fortuna“ noch (mindestens 😉) eine Waringham-Generation passt.
Die Hauptfiguren in „Drachenbanner“
Die eine Hauptfigur ist auf der Seite der Familie Waringham Adela, die Enkelin von Yvein aus „Teufelskrone“. Ein Mädchen, das eher nicht so mädchenhaft daherkommt, wie es für eine arme Adelige wünschenswert wäre. Denn die Baronie Waringham ist nicht besonders groß oder reich. Deshalb muss Adela mit 14 Jahren die Burg verlassen und als Hofdame zu Prinzessin Eleanor gehen, der Schwester von König Henry III und Ehefrau von Simon de Montfort, Earl of Leicester. Die Prinzessin ist nun auch kein Ausbund an weiblicher Sanftmut. Sie hat entgegen ihrem Keuschheitsgelübde nach dem Tod ihres ersten Mannes – da war sie 14 – den charmanten und verwegenen Simon de Montfort geehelicht; ein frommer und kampferprobter Mann mit ehernen Prinzipien. Sie macht Adela klar, dass es kein Schade ist, eine Frau zu sein.
Die männliche Hauptfigur ist Bedric, der Sohn eines Hörigen auf Waringham und Adelas Milchbruder, wie es immer heißt: Beide sind am selben Tag geboren und Bedrics Mutter war Adelas Amme. Die beiden Kinder wuchsen bis zu ihrem siebten Lebensjahr miteinander auf – dann musste der Bauernjunge aufs Feld, dem Vater helfen. Zwischen beiden besteht eine enge Verbindung – aller Trennung zum Trotz.
Der Roman beginnt mit dem Tod von Bedrics Vater, der beim Frondienst für Waringham umkommt. Vor seinem Tod gibt er seinem Sohn den Spruch „Adam war kein Leibeigener, als Gott ihn erschuf“ mit auf den Weg.
Ein revolutionärer Satz, denn die Ordnung der Lehenswelt war nach Auffassung derer, die die Macht besaßen – dazu gehörte auch der Klerus – gottgewollt und unveränderlich.
Natürlich gibt es auch einen Gegenspieler für Bedric: Adelas Bruder Raymond, der nach dem Tod des Vaters Herr auf Waringham wird. Er ist eitel, grausam und verzeiht dem Hörigen nicht, dass er ihm bei einem Bogenschießwettbwerb unterlag – von seinem eigenen Vater so festgestellt.
Adela lebt sich bei Eleanor ein, Bedric muss mit dem Leben auf Waringham klar kommen – ein ungeliebter Stiefvater (Hörige können auch gegen ihren Willen verheiratet werden) macht ihm das Leben so richtig sauer.
Nach ein paar Querelen, flieht Bedric in die Freiheit – nach London. Das Leben dort ist elend, doch er muss ein Jahr und einen Tag in der Stadt bleiben, um frei zu sein.
Schafft er. Als hilfsbereiter Kerl, der er ist, schätzt er das Leben jedes Menschen hoch ein und bringt sich selber in Gefahr oder übernimmt eine Aufgabe, die andere vor Grauen davonlaufen ließ. Am Ende ist er ein freier Mann. Was Raymond of Waringham nie akzeptiert.
Die große Politik – einschließlich Umwelt
Mag ja sein, dass Eleanor die Schwester des Königs ist – der ist aber schwach und wankelmütig und deshalb ist ihr Leben und das ihrer Familie nicht immer auf Rosen gebettet. Immer wieder beschuldigt Henry III ihren Mann, u. a. des Vergehens, sie geheiratet zu haben. Ein Keuschheitsgelübde!!!
Sein ältester Sohn wird ihm auf dem Thron nachfolgen – doch für den jüngeren will er auch eine Krone. Sizilien soll es sein. Doch das kostet. Unsummen. Genau wie die großen Bauprojekte des Königs.
In England – und nicht nur da – spielt das Wetter verrückt. Es wird gar nicht mehr richtig hell. Es regnet nur noch. Das Getreide verfault auf den Feldern. Die neue Saat verrottet in der Erde. Die Folge ist eine Hungersnot. Die Menschen sterben. Dann kommt noch eine Seuche hinzu – noch mehr Menschen kommen um. Die Pacht kann niemand mehr zahlen. Doch der König braucht Geld. Deshalb schickt er die Geldeintreiber aus, die mit allen Mitteln Geld auftreiben sollen. Das tun sie auch. Auch in Waringham. Mit allen Mitteln, wirklich mit allen!
Der König hat eine Gruppe von Halbbrüdern aufgenommen, die sich Pfründen zuschanzen lassen, Geld raffen und Henry III in seinem sizilischen Hirngespinst unterstützen.
Um dem ein Ende zu machen, greift Simon de Montfort, Eleanors Mann, mit einigen Verbündeten zu drastischen Maßnahmen – er verlangt vom König eine Ergänzung der Magna Charta, die Provisions, die die Macht des Königs einschränken, ein Parlament verpflichtend machen und einen Kronrat.
Die, die durch diese neue Regelung Einbußen erleiden, sind dagegen. Dazu gehören nicht nur der König und der Kronprinz, sondern auch die großen weltlichen Herren im Land. Und die eben schon erwähnten Halbbrüder Henrys III.
Was folgt, ist klar: Krieg
Was ist in „Drachenbanner“ anders?
Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, kann ich die Bücher von Rebecca Gablé nicht aus der Hand legen, auch wenn ich die Struktur ihrer Geschichten kenne. Doch ein paar Sachen sind dieses Mal anders.
Nicht nur, dass die eine Hauptfigur gar nicht zur Familie Waringham gehört. Mit seinem Hintergrund bringt Bedric eine ganz andere Sicht ins Spiel – die der wirklich kleinen Leute, der Leibeigenen. Simon de Montfort – eine der echten Figuren im Roman – hat bei seinen politischen Vorschlägen zur Überraschung seiner Zeitgenossen auch diese Ärmsten mit im Blick. Auch Hörige sollen Klage führen können. Eine Idee von, na, wem wohl? – Bedric. Steht aber tatsächlich so in den historischen Quellen (ohne Bedric natürlich).
Der Held wird wesentlich weniger malträtiert als seine literarischen Brüder. Die erste Kerkerszene gibt es erst nach 300 Seiten – und geht ziemlich glimpflich für ihn aus.
Rebecca Gablé erläutert im Nachwort, dass sie die beiden Schlachten – in Lewes und in Evesham – getreu nach den Quellen schildert. Aber es sind nur zwei. Da haben die späteren Waringhams, deren Geschichten früher erschienen sind, mehr zu kämpfen.
Neben dem politischen Hauptthema der ersten englischen Revolution, wie der zweite Krieg der Barons auch genannt wird, handelt Rebecca Gablé zwei weitere Themen ab:
- Homosexualität
- Umgang mit (Geistes)Kranken
Und der Titel „Drachenbanner“?
Tja, da hat sich die Autorin bei der Schlacht zu Lewes noch was besonders „Nettes“ ausgedacht – warum ein „Drachenbanner“? Auf die Schnelle konnte ich zu ihrer Idee nichts finden – den Ablauf der Schlacht, ja – aber ein Drachenbanner wird nirgends erwähnt. Aber wie gesagt – das war jetzt nur ’ne schnelle Suche. Die Idee, dass Edward, der Kronprinz, und König Henry III mit der Nutzung eines bestimmten Banners, das nicht die königlichen Löwen zeigt, eine Aussage über ihre Kriegsziele machen, ist verführerisch. Ich halte sie allerdings für eine Erfindung von Rebecca Gablé.
Das Ende des Romans ist in gewisser Hinsicht offener als andere Schlüsse aus der Waringham-Saga – der Riss, der durch die unterschiedlichen Standpunkte in den politischen Auseinandersetzungen durch die Familien ging, wird nicht aufgelöst.
Rebecca Gablé: Drachenbanner, Bastei Lübbe Verlag, Köln, 2022, ISBN: 9783785728086
Zum Zeitpunkt meiner Rezension war das Buch in der Stadtbibliothek Köln offenbar noch nicht eingearbeitet – Sie können aber davon ausgehen, dass es in mehreren Exemplaren als Buch, E-Book und Hörbuch vorliegt.
Lilli
20. September 2022 at 15:02Alleine der Titel ist klasse;)