Gedicht zum Tag – Lied an gefangene Lerchen von Anna Louisa Karsch

Gedicht zum Tag – Lied an gefangene Lerchen von Anna Louisa Karsch
Lied an gefangene Lerchen
dem Dohmdechant Freyherrn Spiegel zum Diesenberg zugeeignet
(Zu Halberstadt den 5ten des Weinmonats 1761.)

Seyd mir beklagt, ihr, in das Garn verlockte!
Euch hat aus hoher Luft gehört
Der fromme Fühlende; euch hörte der Verstockte
Der keinen Gott erkennt und ehrt.

Ihr sangt dem Landmann kleine Frülings Bothen!
Ihr sangt der Bäurin Hoffnung zu;
Er grif den Pflug, und sie, versprach bald von der todten
Eiskalten Erde Graß der Kuh!

Wenn in der Stadt zu satt gewordne Schläfer,
Sechs Stunden nach der Sonnen Blick,
Noch schliefen; dann vernahm euch lange schon der Schäfer
Und sang wie ihr von Freud und Glück.

Im hohen Grase weideten die Rinder
Der Hirte blieb am Eichbaum stehn,
Euch horchend, und das Thal sah eine Welt voll Kinder
Nach eurem Liede tanzend gehn.

Mirtill den jungen Schäfer nahm Galtere,
Die schönste, bey der Hand und sprach:
Die Lerchen singen süß, Geliebter komm und höre
Ihr Lied, und singe lieblich nach!

Er, dem des ersten Menschen zweyten Sohnes
Des Abels fromme Muse ward,
Nahm seine Leyer, sang! die Höhe seines Thones
Glich eurer Lobgesänge Art.

Dann rollten von Galterens schönen Wange
Sechs Thränen, blinkend, wie der Thau
Am Frühlings Morgen fiel! indem ihr mit Gesange
Gegrüßt die Blumen auf der Au!

Euch hörten lachend, Hand an Hand geschlossen
Die Schnitter eilend in das Feld!
Und, im Getümmel, ganz mit Krieger Schweiß beflossen
Vernahm euch Sänger noch der Held!

Oft senktet ihr die grauen Flügel nieder,
Kamt in die Furchen; also trieb
Mich Nahrungs-Kummer oft, daß ich, zu kleine Lieder
Matt sang und an Unedle schrieb.

Ihr sangt nicht mehr, so bald der fette Weitzen
Geerndtet war; ihr Sänger schwiegt
Und müßig liesset ihr euch zu dem Netze reizen
Darin ihr nun gefangen liegt.

Seyd mir ein Beyspiel! vor dem Müßiggange
Soll sich in mir die Seele scheun,
Kein Tag soll untergehn, daß ich nicht mit Gesange
Mich meines Schöpfers will erfreun!

Mir giebt er von des Landes Mark zu essen;
Mir wird das Leben honigsüß:
Sollt aber ich zu satt, den treuen Gott vergessen,
Der nie vergaß und nie verließ?

Ihm will ich singen hohe Lobgesänge!
Selbst meine Thränen sind sein Lied;
O! mein Entzücken weint oft heimlich eine Menge
Wenn ihn mein Herz in Freunden sieht.
Anna Louisa Karsch

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

Einen Kommentar hinterlassen