Inhalt des Beitrags
Wiener Schmäh und Wiener Kaffeehaus – beides gibt es im Debutroman von Eva Menasse und noch einiges mehr. „Vienna“ ist das Buch für die Stadt 2018 in Köln – in der ersten Novemberwoche gibt es dazu eine Reihe von Veranstaltungen, u. a. auch eine, bei der ich in die Vorbereitung einbezogen war.
Was erzählt Eva Menasse?
Kurz gesagt: Die Geschichte ihrer Familie. Jedenfalls birgt die Geschichte genug Parallelen zu der von Eva Menasses eigener Familie, um den Satz einfach mal so stehen zu lassen.
Der Einstig ist fulminant:
Mein Vater war eine Sturzgeburt. Er und ein Pelzmantel wurde Opfer der Bridgeleidenschaft meiner Großmutter (…) (S. 9).
Wer jetzt meint, von da spule sich die Geschichte einfach chronologisch ab, irrt, und zwar gewaltig. Eva Menasse springt zwischen den Jahrzehnten nur so hin und her; sie schafft es, innerhalb von anderthalb Seiten mal eben fünf Jahrzehnte zu streifen – und zwar hin und zurück und ganz organisch. Wer versucht, sich einen Überblick übers Personal zu machen, bekommt Schwierigkeiten. Die Personen werden meist mit ihrem Verwandtschaftsgrad zur Erzählerin bezeichnet: Großvater, Großmutter, Vater, dessen erste Frau, der Bruder, Mutter, Schwester, Onkel, dessen erste Frau, dessen zweite Frau, die Vettern. Je näher die Handlung an die Jetztzeit kommt, desto mehr Verwandte – aber die sind z. T. nicht mehr so handlungstragend. Doch ein paar Gesichter in dem Familienwirbel kommen immer mit Namen: die Tante Gustl z. B., die eine Schwester des Großvaters, die einen Bankdirektor heiratete und dieser selbst, der viel zu früh verstorbene Adolf Königsberger, genannt Königsbee und wegen seiner verdrehten Sprichwörter und Zitate unverzichtbare Zugabe der Familienanekdoten. Auch die Tante Ka und ihr Sohn, der Nandl treten unter ihren Namen auf – kein Ruhmesblatt für die Familienchroniken. Dann gab es noch die Tante Katzi, von der beredt geschwiegen wurde.
Diese Familie nun durchlebt das 20. Jahrhundert in Wien – die Zeit in der ersten Republik, die Nazi-Herrschaft und den Krieg, die Nachkriegszeit, den Wiederaufbau und die politischen Skandale nach 1968. Alle haben eine Meinung zu den Ereignissen und streiten meist. Dazu kommen die privaten Verletzungen: unglückliche Ehen, das Überleben im Bombenkrieg und dann noch die Entdeckung, dass sie ja eigentlich nicht jüdisch sind.
Wie erzählt Eva Menasse?
Wer nun denkt „Was für ein düsteres Szenario – sicher ein trauriges Buch“ irrt. Eva Menasse erzählt die Geschichte der Familie mit leichter Hand, viel schwarzem Humor und in mitreißendem Tempo. Die Grausamkeit mancher Szenen geht einem da erst bei langsamem Lesen auf:
Die ersten Jahre im Leben meines Vaters verliefen weitgehend normal. An der Hand seiner schönen, strengen Mutter ging er jeden Tag ins Kaffeehaus, wurde zwischen die Kartenpartnerinnen meiner Großmutter gesetzt (…) und wurde angeherrscht, wenn er mit den Beinen baumelte. (S. 16)
Meine Schwester zog den rechten Mundwinkel auf eine Weise herunter, die Max so gut kannte, daß (sic) er sie niemals einseitig interpretiert hätte. (S. 344)
Viel vom Witz der Erzählweise liegt recht offen zutage – die Abgründe tun sich erst bei genauerem Hinschauen auf. So kommt es, dass ich das Buch mit großem Vergnügen und zügig gelesen habe – das Stocken und Nachlesen kamen dann später.
Es gibt eindeutig Passagen, die besser geraten sind als andere – zwischenzeitlich zeigen sich Längen, die auch durch forcierte Heiterkeit nicht zu übertünchen sind. Aber im Großen und Ganzen ist es eine lesenswerte Geschichte.
Familie funktioniert über Erzählen
Das war mit ein Grund, weshalb ich in den Roman so schnell reingekommen bin: Die Familie bei (oder von?) Eva Menasse lebt durchs und vom Erzählen. Immer und immer wieder werden die Geschichten von der Sturzgeburt und dem Pelzmantel, die Erfahrungen von Vater und Onkel in England, als Sportstar und Soldat in Burma, erzählt. Die verfälschten Zitate des Adolf Königsberger, alias Königsbee, bekommen unter lautem Gekicher und Gelächter Nachwuchs – „Ein echter Königsbee!“
Das ist mir wohl vertraut – auch in meiner Familie galt und gilt das Erzählen als wichtiges Instrument der Selbstversicherung. „Zu Hause“ stand in der Küche der Sauerteig und diente in der Hungerzeit zum Säuern der heimatlich anmutenden Suppen (Ostpreußen haben eine Vorliebe für leicht säuerliche Suppen: Sauerampfer, Buttermilch, Beetenbartsch). Viele Einzelheiten kamen erst hoch, als die Generation der Eltern älter wurde – die schweren Erlebnisse, die in Hungerwinter und Nachkriegszeit zum Verlust der Heimat hinzukamen. Nur dass im realen Leben der Sprachwitz nicht ganz so ausgefeilt ist, wie in einem Roman 😉 In dem häufigen Treffen, dem Zusammenhalt und dem Erzählen ist mir die Familie der Eva Menasse sehr nah.
Eva Menasse: Vienna, btb Verlag, München 2007, ISBN: 9783442732531
In der Stadtbibliothek steht das Buch als Sonderausgabe für die Aktion „Buch für die Stadt“ und auch in anderen Ausgaben mehrfach zur Verfügung.
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