Bloody Mary von Kristina Gehrmann

Bloody Mary von Kristina Gehrmann

Eine so dicke Graphic Novel wie von Kristina Gehrmann habe ich noch nie gelesen: es sind über 300 Seiten – und es hat sich gelohnt.

Was erzählt Kristina Gehrmann?

Die Geschichte der Mary Tudor, der ältesten Tochter von Heinrich VIII. Und zwar in der Ich-Form, was für eine Graphic Novel ungewöhnlich scheint. Vor allem weil in diesem Fall auch eine Menge Informationen einfließen müssen, die Mary aus eigener Anschauung nicht gewinnen konnte. Sei’s drum – auch die Passagen passt Kristina Gehrmann gekonnt in ihre Geschichte ein.

Mary Tudor hatte in vielem kein leichtes Leben: Als Prinzessin geboren, von der spanischen Mutter im katholischen Glauben erzogen, musste sie erleben, dass Heinrich VIII

  • die Ehe mit ihrer Mutter für ungültig erklären ließ
  • sie selber damit für unehelich erklären ließ
  • sie von ihrer Mutter trennte
  • ihr den Prinzessinentitel aberkannte
  • sie als Untergebene an den Hof ihrer Schwester Elizabeth schickte
  • von ihr dann Gehorsam nicht nur als Vater, sondern auch als König und kirchliches Oberhaupt verlangte

Besonders die letzte Forderung war für sie unannehmbar; als sie ihr endlich aus Sorge um ihr Leben nachgab, riet ihr der kaiserliche Gesandte dazu, gleichzeitg eine Widerrufserklärung zu schreiben und zu unterzeichnen, die – vor Gott – die offfizielle Erklärung annullierte.

Sie bekommt mit, wie ihr Vater erst Anne Boleyn heiratet, mit ihr eine Tochter bekommt und die zuvor jahrelang Umworbene dann hinrichten ließ. Und wie es mit den anderen Nachfogerinnen ihrer Mutter so weiter ging. Es gibt einige Reime, die als Erinnerungsstützen für Namen und Schicksale der sechs Ehefrauen Heinrichs VIII dien(t)en: Divorced, beheaded, died; Divorced, beheaded, survived.” – ist der mir bekannteste. Hier finden Sie mehr.

In der Fassung von Kristina Gehrmann kommt nun die Sicht Marys ins Zentrum – wie sie das alles erlebt hat. Knapp und verdichtet sind die Szenen. Und bis zu einem bestimmten Punkt kann ich voll mit ihr fühlen.

Sie ist – allen Widrigkeiten zum Trotz – am Ende Königin von England geworden und als „Bloody Mary“ in die Geschichtsbücher eingegangen. Doch den größten Teil ihres Lebens hat sie – zwar materiell wohl versorgt – in Angst und Ärger verbracht.

Und die Bilder?

Bei einer Graphic Novel ist der Text ja nur ein Aspekt der Geschichte – der andere ist das Bild, bzw. die Bilderreihen. Kristina Gehrmann hat eine im Großen und Ganzen gedämpfte, harmonische Farbpalette verwendet. Je nach Stimmung sind die Bilder in Rot und Gold gehalten, wenn es prachtvolle oder erfreuliche Szenen sind. Bei Trauer oder indirekten Szenen, also solchen, die Mary zugetragen wurden, sind sie in Abstufungen von Grau gehalten. Und auch fast schwarze Bilder gibt es, besonders am Ende, als Mary an dem zweifelt, was sie bis dahin als Gottes Willen angesehen hat. Das ist die Zeit der Bloody Mary – der Hinrichtungen von „Ketzern“ durchs Feuer.

Kristina Gehrmann die Kleidung ihrer Figuren klar an Gemälde der Zeit angelehnt. Hier ist Mary in genau dem Kleid, das sie auch auf dem Cover der Graphic Novel trägt:

Porträt von Mary Tudor, weißhäutige Frau mit dunklem Haar in einem Kleid aus rötlichem Brokat  udn großen Schmuckärmeln,
Mary Tudor , gemalt von Master John 1544

Übrigens hat sie offensichtlich auch die Stupsnase ihrer Heldin nicht erfunden:

Porträt der junge Mary Tudor, mit Perlenketten und Kreuzanhänger, im blauen Kleid mit weiß eingefasstem eckigen Halsauschnitt.
Mary Tudor, in den 1520er Jahren

Am Ende gibt Kristina Gehrmann noch einen kleinen Einblick in ihr Making-of – z. B., dass sie die Seiten mit den Schwarz-weiß-Zeichnungen ausdruckt und dann mit farbiger Tusche koloriert. Am Ende wird alles wieder eingescant. Mühsam – aber es lohnt sich.

Fazit

Da ich ja die Bücher von Hilary Mantel zu Thomas Cromwell gelesen habe, war mir ein Teil des Personals – besonders aus Marys Jugend – wohl vertraut. Die Ereignisse nach seiner Hinrichtung kannte ich nur ungefähr. Das heißt, ich konnte mein etwas ausführlicheres Wissen mit dem vergleichen, was hier erzählt und dargestellt wird – und meine weniger guten Kenntnisse über die Zeit erweitern. Mir hat die Darstellung sehr gut gefallen.

Meine größte Befürchtung bei einer Graphic Novel ist immer die Schrift – die ist hier aber angenehm zu lesen, nicht zu klein, nicht zu viel.

Ich hatte also wirklich Freude an dem Band.

Ein Band über Elizabeth I ist geplant …

Kristina Gehrmann: Bloody Mary. Die Geschichte der Mary Tudor, Carlsen Verlag, Hamburg, 2021, ISBN: 9783551793492

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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