Inhalt des Beitrags
Von Pierre Bayard gibt es nicht viel auf Deutsch – dieses Buch fiel mir in unserem Veedelsbücherschrank in die Hände. Glück muss man haben!
Worum geht es Pierre Bayard?
Um eine Rehabilitierung des Hundes der Baskervilles …?
Eher nein.
Der Untertitel lautet: „Hier irrte Sherlock Holmes“. Will er also den großen Detektiv vorführen? –
Vielleicht.
Noch eher geht es ihm um den Autor – Arthur Conan Doyle – der Sherlock-Holmes-Geschichten.
Das Buch gehört in eine Reihe, in der Pierre Bayard „Kriminalkritik“ betreibt. Also eine Analyse des Textes, die zu anderen Ergebnissen kommt als Autor*in, Erzähler*in und Ermittler*in. Dabei darf man nicht vergessen, dass der Mann Literaturprofessor und Psychoanalytiker ist …
Was erzählt oder analysiert Pierre Bayard also?
Er verspricht eine Aufklärung eines der berühmtesten Fälle von Sherlock Holmes und Arthur Conan Doyle. Dafür klärt er erst einmal das Verhältnis Autor – Figur. Denn Arthur Conan Doyle hatte vor diesem Buch seinen Helden eigentlich umgebracht – mit Hilfe eines Herrn Moriarty. Er fraß zu viel Zeit und Energie. Und Doyle war der Meinung, seine anderen Bücher seien wichtiger.
Seine Leser*innen sahen das anders. Ganz anders. Und so musste Holmes nicht nur in einem späteren Werk nach seinem angeblich vermeintlichen Tod wieder auferstehen, sondern schon vorher publizierte Doyle mit „Der Hund der Baskervilles“ eine neue Story, die aber zeitlich vor dem Tod Holmes‘ lag.
Der Konflikt des Autors mit seiner Figur bildet, so Pierre Bayard, eine Grundlage, weshalb Holmes hier so schlecht wegkommt:
- Er ist fast kaum präsent.
- Er macht Fehler.
Das erste ist eine Tatsache. Das zweite ist eine Behauptung von Pierre Bayard.
Hier kommt also der Psychotherapeut zur Sprache.
Wobei: Dass sich Figuren von ihren Schöpfer*innen emanzipieren können, sagen auch andere Autor*innen aus. Allerdings selten in einem solchen Maße, wie Pierre Bayard es hier unterstellt.
Bayards Textanalyse
Teilweise wandelt Pierre Bayard da auf Holmes‘ Spuren – wenn es z. B. um die Augen geht: Der bärtige Mann in London hat stechende Auge, der – laut Holmes – Täter eher nicht. Aber eine andere Person. Also kann der Täter Homes‘ nicht der Täter sein, sondern es muss die andere Person sein.

Spannender als die Analyse solcher kriminalistischen Elemente war für mich die Textanalyse als literaturwissenschaftliche Übung und die Gedanken Bayards dazu. Ein Beispiel:
Dass das Indiz aus einer Selektion hervorgeht, bedeutet, dass viele Elemente der literarischen Wirklichkeit potenzielle Indizien darstellen, aber von der einmal gewählten Konstruktion übergangen werden und dieses Privileg nicht erlangen.
S. 60
Oder hier:
Diese Unvollständigkeit der literarischen Welt ist jedoch nicht absolut. Sie wird durch die Intervention des Lesers relativiert, der die Lücken des Textes nicht ganz, aber doch teilweise auffüllt.
S. 77
Wenn ich die Methoden Bayards auf seine Schlussfogerungen anwende, komme ich auch zu einem anderen Ergebnis als er, was die „Täterschaft“ in diesem Krimi angeht. Da hat er mich nämlich nicht überzeugt.
Ich hatte mit dem Buch wirklich sehr viel Freude und hoffe, dass die anderen Titel zur Kriminalkritik – es geht um „Hamlet“ und „Alibi“ – auch noch auf Deutsch erscheinen werden, auch wenn sie schon älter sind.
Pierre Bayard: Freispruch für den Hund der Baskervilles. Hier irrte Sherlock Holmes, übersetzt von Lis Künzli, leicht gekürzt, Verlag Antje Kunstmann, München 2008, ISBN: 9783888975295
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