Da denkt man so: Thomas Mann ist evangelisch und Heinrich Detering sagt: Is‘ was komplizierter.
Ja, Thomas Mann ist in einem protestantischen Umfeld aufgewachsen. Und ja, er kennt da einiges. Und betont auch seine protestantische Herkunft. Doch schon in den 20er Jahren bekam er Einblick in die Gedankenwelt der Unitarier.
Unitarimus in den USA
Kennt hier kaum jemand. Deshalb muss Heinrich Detering erst mal ausholen:
Unitarismus ist eine religiös unterbaute Geisteshaltung, die sich u. a. in den USA verbreitete. Die ursprünglichen Gedanken entwickelten sich zu Zeiten der Reformation. Darin lehnten die Vertreter dieser Richtung den Gedanken der Trinität und der Gottgleichheit Jesu ab – ziemlich radikal also. Im Laufe der Zeit kamen verschiedene Ideen dazu und im 19 Jahrhundert gab es in den USA zwei Hauptströmungen – eine theistische, also religiöse Richtung, und eine humanistische und auch atheistische, ohne Gott.
Thomas Mann beschäftigte sich schon im Zusammenhang mit seinem Roman „Königliche Hoheit“ mit spezifisch amerikanischen Themen – politischer, gesellschaftlicher und eben auch religiöser Natur. In den 20ern erhielt er die Werke Walt Whitmans in der Übersetzung Hans Reisingers und war fasziniert.
Heinrich Detering weist in seinem kenntnisreichen und sehr detaillierten Buch nun nach, wie sich die Geisteshaltung des Unitarismus bei Thomas Mann äußert, welchen Strömungen und Menschen darin er verbunden ist und wie sich das auf sein Werk auswirkt.
Ich hatte ja vor elf Jahren das Vergnügen „Joseph und seine Brüder“ zu lesen – ein Mammutwerk – und musste nun feststellen, dass ein Teil des Inhalts bei mir offensichtlich nicht angekommen ist. Denn obwohl ich die theologische Dimension wahrgenommen habe – ins Detail bin ich dabei nicht vorgestoßen. Dass die „Gotteserfindung“ darin mit der Geistesströmung des Unitarismus verbunden ist, konnte ich nicht wissen, denn ich wusste ja nichts vom Unitarismus; ob ich es schaffen werde, dieses Riesenwerk unter dem Aspekt erneut zu lesen?
Was es im Buch von Heinrich Detering noch so gibt:
Angeregt wurde Heinrich Detering durch einen Vortrag von Frido Mann, dem Enkel, der für das Kind in „Dr. Faustus“ Pate stand. Er und die anderen Nachfahren Thomas Manns seiner Generation wurden in den USA unitarisch getauft – auf Betreiben des Großvaters. Er hatte sich zum 50. Todestag Thomas Manns Gedanken zu dessen Religionsverständnis gemacht. In einem persönlichen Essay schildert er, wie ihn die Arbeit Heinrich Deterings fasziniert hat, der diesen angedeuteten Spuren in Biographie und Werk minutiös nachspürt.
Neben der ausführlichen und gut lesbaren Darstellung ist der Anhang des Buches von großem Wert: Eine Reihe der Dokumente, die im Text zitiert werden (in den Fußnoten dann passgenweise auch übersetzt und diskutiert), sind hier vollständig abgedruckt – Briefe, Essays und andere Texte von Thomas Mann und Vertretern des Unitarismus.
Heinrich Detering: Thomas Manns amerikanische Religion. Theologie, Politik und Literatur im kalifornischen Exil, S. Fischer Verlag, Frankfurt, 2012, ISBN: 9783100142047
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