Thema 1914: Schlump von Hans Herbert Grimm

Thema 1914: Schlump von Hans Herbert Grimm

Was ist das nur für ein unschuldiges Knäblein, das da 1915 im zarten Alter von 17 Jahren in den Krieg zieht? Schlump wird er genannt – ein Streich hat ihm diesen Spitznamen eingebracht. Hans Herbert Grimm hat mit Schlump einen Simplicissimus des 20. Jahrnunderts geschaffen – Emil Schulz, wie Schlump eigentlich heißt, nimmt das Leben so, wies kommt. Die Rekrutenausbildung übersteht er gut. Die nächste Station ist dann: Verwaltung dreier französischer Dörfer, denn Schlump hat Realschulabschluss und parliert ein wenig französisch. Da hat er nun mit 17 Lenzen Anderen und Älteren Arbeit und Material zuzuteilen, ist so eine Art kleiner König. Und kommt großartig zurecht. Die Mädchen himmeln ihn an, die Bewohner merken schnell, wie gutmütig er ist. Wie er sein Reich regiert wird besonders schön in der Szene deutlich, wo er mal hart durchgreifen muss: Eine Dörflerin muss ins Gefängnis. Das gibt es aber nicht. Also widmet der findige Schlump eine Scheune um und führt die Frau selbst dorthin. Da aber keine sanitäre Vorrichtung vorhanden ist, geht er kurz danach denselben Weg noch mal – in Begleitung eines Nachttopfs …

Doch auch Schlump muss noch richtig in den Kampf, in den Schützengraben. Hans Herbert Grimm lässt dieses Leben im lakonischer Manier vor unseren Augen auferstehen. Die ewige Warterei, erst vor Regimentsschreibstuben, dann auf die Ablösung, das Problem des Wachestehens, wenn man eigentlich ein menschliches Rühren verspürt oder total erschöpft ist, das Schanzen, die Berichte der erfahreneren Sodaten, der Blick auf die Felder, von denen sie sagen, dass dort Tausende liegen. Eine Verletzung macht dem Frontleben erst einmal ein Ende – Schlump trifft es für die Rekonvaleszenz gut, die kleine Nelly erweist sich als anschmiegsam:

Ein halbes Jahr später schrieb ihm die süße kleine Nelly ins Feld, dass sie einen kleinen Schlump erwarte. Aber er solle sich nicht grämen um ihretwillen. Die Mutter sei nicht böse, erwarte selber einen kleinen Zahlmeister. Und der Vater hätte in Metz auch einen kleinen Schleppsäbel bestellt … (S. 131)

Französische Soldaten in Granattrichtern
Neben Schützengräben sind Granattrichter eine Möglichkeit, sich vor Geschossen zu schützen.
Nachdem er wieder fronttauglich geschrieben ist, geht es zurück an die Westfront.  Dort erlebt er nun grauenhafte Dinge – Kameraden, die tot neben einem niederfallen, sind da noch harmlos -, aber das alles erzählt Hans Herbert Grimm im gleichen Stil wie die oben zitierte Passage: Ungeheuerliches als Selbstverständliches.

Schlump ist ein liebenwerter Charakter, der im Laufe des Krieges reift; im Gegensatz zu seinen fast zeitgleich erschienenen „Kameraden“ aus „Im Westen nichts Neues“ überlebt er den Krieg. Hans Herbert Grimm hat ein Anti-Kriegs-Buch geschrieben, das zwar in seinem Gestus harmlos daherkommt, doch in seiner Anti-Kriegs-Haltung unerschütterlich ist. Neben dem Roman von Erich Maria Remarqe hatte das Buch schon vor der Nazizeit wenig Erfolg. Trotzdem wurde es von den Nazis verbrannt. Da Hans Herbert Grimm aus Angst vor Repressalien NSDAP-Mitglied wurde, war er nach 1945 den neuen Herren in Thüringen suspekt und durfte nicht mehr als Lehrer arbeiten; 1950 nahm er sich das Leben. Sein Buch – das einzige, das er geschrieben hat – hatte er zu Beginn der Naziherrschaft eingemauert. Volker Weidermann, der 2008 das „Buch der verbrannten Bücher“ publizierte, stieß im Zusammenhang mit diesem Werk auf die Daten zu „Schlump“. Von ihm stammt auch das Nachwort in der Neuauflage.

Auch wenn sich „Schlump“ eigentlich „leicht“ liest, ist er keine leichte Lektüre, sondern eine neue Stimme in der Reihe der Bücher, die den ersten Weltkrieg behandeln. Lesenswert!

Diese Rezension gehört in die Blogparade „12 Bücher in 12 Monaten“ von Eva Maria Nielsen.

Hans Herbert Grimm: Schlump, Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln, 2014, ISBN: 9783462046090

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

  • Eva Maria Nielsen

    12. August 2014 at 20:23 Antworten

    Danke für den Beitrag – momentan lese ich eine Reihe Bücher rundt um den Ersten Weltkrieg. Den Schlump kenne ich aber noch nicht und werde mir den Titel notieren. DANKE!

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