Inhalt des Beitrags
Eine Analyse legt Natascha Strobl vor – eine erschreckende noch dazu.
Als politisch interessierter Mensch habe ich die Entwicklungen der letzten Jahre mit Sorge und, ja, Unverständnis betrachtet. Wie können Menschen so machtversessen und – sorry – dummdreist sein, wie es manche derer sind, die in der Politik eine Rolle spielen oder spielten?
Was analysiert Natascha Strobl?
Besagten Konservatismus. Und sie tut das in mehreren Schritten.
Was ist Konservatismus?
Um zum „radikalisierten Konservatismus“ zu kommen, muss erst mal klar sein, was „Konservatismus“ eigentlich bedeutet.
Kurz gefasst, verstehen wir unter Konservatismus also eine antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung, deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind.
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Klingt schon nicht wirklich nett, liegt aber sicher bei vielen politischen Ansichten zugrunde.
Dann grenzt sie das von Faschismus und Nationalsozialismus ab – deren Haltung ist nicht antirevolutionär, aber eben auch in keinster Weise klassenharmonisierend. Sie sind antidemokratisch und antiliberal. Hinzu kommt der Aspekt, dass sie sich als „Bewegung“ verstehen und jeden Lebensbereich als Kampf sehen. Es kann dann auch immer nur einen Sieger geben – ein Volk zum Beispiel.
Was ist radikalisierter Konservatismus?
Den analysiert Natascha Strobl in sechs einzelnen Schritten. Sie geht dabei „aufbauend“ vor – also in der Reihenfolge, in der die einzelnen Schritte am „sinnvollsten“ sind. Sie entsprechen denen, die die Poltiker machen, die der Bewegung/Richtung anhängen oder sich nutzbar machen. In jedem dieser Schritte der Vertreter_innen dieser Richtung wird sagbarer, was davor als unsäglich galt – Regel- und Tabubrüche sind konstituierende Elemente dieser politischen Einstellung. Der „Witz“ an der Geschichte ist, dass sich die Protagonisten als Opposition oder „Außenstehende“ präsentieren, obwohl sie, wie die ÖVP in Österreich, eigentlich die ganze Zeit an der Regierung waren.
Ein Gegeneinander von „wir“ gegen (irgend)wen anderes gehört ebenfalls dazu. Da der radikalisierte Konservatismus sich aus rechten Ecken speist, gehören Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dazu. Die Flüchtlingsbewegungen unserer Zeit wecken hier nicht Mitgefühl, sondern schüren Angst – bei den möglichen Wähler_innen der radikalsiert Konservativen – und Aggression bei den Akteuren.
Emotionen spielen eine große Rolle in der gesamten Kommunikation – differenzierte Argumentationen zielen in Diskussionen so ins Leere.
Das ist der Aspekt, der mich am meisten verstört …
Ein Ziel der Aktiven in den Kreisen des radikalisierten Konservatismus ist der Umbau von Staatsgefügen – gut zu beobachten bei Donald Trump, der seine vier Amtsjahre dazu genutzt hat, zum Beispiel auf der Ebene der Richter_innen solche Menschen einzusetzen, die seine (abstruse) Agenda unterstützen. Und nein, das hat er nicht nur am Supreme Court so gemacht, auch in den unteren Etagen des Justizsystems. Das wird Auswirkungen über Jahrzehnte haben …
Zu der Sache mit den Emotionen gehört auch die Einrichtung von Parallelwelten – in Social Media, in Publikationen usw. Hier kommen unwidersprochen Aussagen, die Verstandesargumenten nicht gewachsen sind – aber geglaubt werden, weil „die anderen“, „die Linken/Fremden/Muslime/Juden“ ja nie die Wahrheit sagen …
Natascha Strobl kommt aus Österreich …
Das wird an ihren Beispielen deutlich – neben Donald Trump als Vertreter des radikalisierten Konservatismus dient vor allem Sebastian Kurz, der zweimalige Bundeskanzler von Österreich, als Beispiel. Nach Erscheinen des Buchs haben sich weitere Bausteine hinzugesellt – Sebastian Kurz ist nicht mehr Bundeskanzler, hat Strafverfahren zu befürchten und will völlig aus der Politik abtreten und in ein anderes Gebiet wechseln (trump-nah, könnte man sagen …).
Recep Tayyip Erdoğan und Boris Johnson kommen zwar auch vor, aber nicht so prominent und häufig.
Wie schreibt Natascha Strobl?
Gut verständlich, prägnant und gut lesbar. Von daher keinerlei Klage 😄. Ich mag die Präzision ihrer Darlegung. Und goutiere den sensiblen Umgang mit kritischen Begriffen.
Fazit
Aber der Inhalt zieht runter.
Auch das Schlusskapitel mit der Kästner-Assonanz „Und wo bleibt das Positive?“ ist keine leichte Lektüre, denn Natascha Strobl macht klar, dass ohne Anstrengung hier nichts in Richtung Demokratie läuft. Alle, die keine radikalisiert Konservativen an der Macht sehen wollen, müssen sich anstrengen. Also auch Sie und ich … Mit Sich-Raushalten ist es nicht mehr getan.
Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Suhrkamp, Berlin, 2021, ISBN: 9783518127827
Die Stadtbibliothek Köln hat das Buch im Bestand.
Nachklapp
Damit das Ganze nicht ganz so trostlos endet, wie mir nach der Lektüre zumute war, kommt hier eine private Anekdote zum Buch:
An Heiligabend gingen an die Vertreter „Nachwuchs“ zwei gleich große Päckchen – für den einen von den Eltern, für den anderen vom Bruder. Als der mit dem Elternpäckchen das Geschenk sah, gab’s Gelächter – er hatte es dem Bruder auch geschenkt …
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