Inhalt des Beitrags
Laurent Binet entfaltet in vier Teilen ein großartiges Szenario:
Was wäre passiert, wenn Kolumbus und die Seinen nicht zurückgekommen wären von ihrer großen Fahrt? Und wie hatte das passieren können? Und – das am wichtigsten – was hätten die Folgen sein können?
Dazu nutzt er vier Phasen der europäischen Geschichte – angefangen, nein nicht mit Kolumbus, sondern mit den Wikingern.
Die Geschichte einiger Wikinger bei Lauren Binet
In der Saga von Freydis Eriksdottir kommt eine starke Frau in die Gegend, die wir heute Amerika nennen. Auf ihren Schiffen gibt es Eisenwaffen, und Pferde. Peu à peu entwickelt sich aus den Begegnungen mit feindlichen Stämmen anderes – die Wikinger bleiben und lehren die Einheimischen schmieden und bringen ihren Gott Thor mit.
Eine großartige Geschichte einer starken, zielstrebigen Frau.
Und Kolumbus bei Laurent Binet?
Kommt nicht zurück. In den Fragmenten seines Tagesbuchs erzählt er, wie es ihm und seinen Leuten und Schiffen erging. Wie kämpften und verloren. Die Menschen der neuen Welt wehren sich – geht auch gut, denn sie haben Eisenwaffen und Pferde. Kolumbus lebt unter ihnen bis zu seinem Tod. Ein Mädchen hört gern seinen Geschichten zu, von dem großen König, von dem Gott, der ihn hierhin geführt hat. Sie lernt einige Brocken seiner Sprache und die Geste mit der Hand: von der Stirn, zu beiden Schultern, zur Brust.
Der längste Teil: Die Atahualpa-Chroniken
Der Inka Atahualpa liegt mit seinem Bruder im Krieg und flieht zu einer Insel vor der Küste. Verschiedene Umstände führen dazu, dass er sich mit seinen Leuten weiter gen Osten begibt – angeregt durch die Erzählungen einer älteren Frau, die Schiffe, die als Wracks dort liegen und als Muster für eigene Fahrzeuge dienen. Kurz und gut – die Truppe landet in Lissabon – einen Tag nach einem verheerenden Erdbeben. Atahualpa, seine Schwester-Gattin, seine Geliebte, besagte ältere kubanische Prinzessin, die als Kind Kolumbus lauschte, und rund 200 Menschen machen sich auf, einen Ort für sich zu finden.
Nicht so einfach – Europa ist dicht besiedelt.
Am Ende ist Atahualpa der Nachfolger Karls V, also Kaiser und sehr mächtig. Er entwickelt einen regen Seehandel über den Atlantik, damit Gold und Salpeter nach Europa kommen, dafür gehen Wein und andere Produkte gen Westen.
Eines Tages bricht die Verbindung zusammen – die Mexikaner haben sich eingemischt, landen in Frankreich errichten dort ihre Herrschaft, einschließlich Sonnenpyramiden und Menschenopfer. König Franz I ist ihr erstes Opfer dort oben …
Miguel de Cervantes wird Sklave
Im vierten Teil ist die Herrschaft der Nachfahren Atahualpas und seines mexikanischen Nachbarn in Frankreich Normalität. Doch einige Christen wollen sich gegen die Verehrung der Sonne, die mit dieser Herrschaft verbunden ist, auflehnen. Miguel de Cervantes, der wegen anderer Delikte in Spanien gesucht wird, schließt sich an – und landet am Ende als Sklave für die westlichen Teile auf einem Schiff.
Was unterscheidet die Eroberer von Lauren Binet von den echten der Geschichte?
Klar, sie sind fiktiv. Und auch klar: Sie kämpfen entschlossen. Lauren Binet lässt jede Menge echtes historisches Personal auftreten, das aber in diesen neuen Kontexten neue Aufgaben hat: Pedro Pizarro z. B. erweist sich als gute Helfer für Atahualpa und seine Herrschaft in Spanien. Die Künstler der Zeit – Michelangelo, Tizian – bilden die neuen Herrscher ab.
Die Gedanken der Inka über den „Angenagelten Gott“ sind spannend, ihre Beobachtung der geschorenen Priester dito und ich habe eine Weile gebraucht, um im „schwarzen Gebräu“ Rotwein zu erkennen. Die Reaktion der Inka auf die unangemessenen Reaktionen der „Orientalen“ auf ihre Sitten – besonders die Nacktheit – ist völlig verständlich 😊
Gravierendster Unterschied: Atahualpa erlässt ein Toleranz-Edikt – alle Religionen, Judentum, Islam, Sonnenkult und Christentum, sind erlaubt.
Sprache?
Die einzelnen Teile sind ja unterschiedliche Textsorten – Saga, Tagebuch, Chroniken -, doch geminsam ist ihnen die subjektive Sicht auf die Welt. So bekomme ich einen Blick auf das Europa des 16. Jahrhunderts von Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis – das macht Vertrautes zu manchmal echt skurrilen Sachen … Der Stilwechsel zwischen den Teilen ist wegen der Subjektivität nicht sooo ausgeprägt – aber schon spürbar. In den Chrißoniken um Atahualpa gibt es zudem Strophen aus einem mehrteiligen (Strophe 43 oder so) Gedicht … Lyrik haben wir also auch.
Es macht richtig richtig Spaß, dieses Buch zu lesen.
Laurent Binet: Eroberung, übersetzt von Kristian Wachinger, Rowohlt Verlag, Hamburg, 2020, ISBN E-Book: 9783644006966
Die Stadtbibliothek Köln hat das Buch als E-Book, als Buch und als Hörbuch im Bestand.
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