14. Juli von Éric Vuillard

14. Juli von Éric Vuillard

Das Büchlein von Éric Vuillard umfasst nur 130 Seiten – aber die haben es in sich.

Was erzählt Éric Vuillard?

Die Geschichte des 14. Juli 1789 – vom Sturm auf die Bastille. „Le quartorze juillet“ ist der Feiertag schlechthin in Frankreich – der Beginn der Französischen Revolution, das haben wir alle gelernt, ist dieser Sturm auf die Bastille am 14. Juli. Es muss eine Unzahl von Protokollen und anderen Quellen geben, die Éric Vuillard akribisch ausgewertet hat. Er schildert, wie die Menschenmenge in Bewegung kam und was eigentlich dort an der Bastille geschah. Ehrlich gesagt: Heroisch ist anders. Aber heldenhaft – ja, das war es.

Dabei beginnt er gar nicht am 14. Juli, sondern Ende April, als die ersten Hungeraufstände in und um Paris losbrechen. Er schildert, wie die Menschen in die Folie Titon kommen und staunen und demolieren – und wie sie am Ende niedergeprügelt werden.

Éric Vuillard befasst sich dabei nicht mit bekannten großen Namen, sondern mit den kleinen Leuten, denen, die in den Berichten in Geschichtsbüchern nur als „Menge“ oder „Masse“ bezeichnet werden. Er gibt ihnen ihre Namen und Berufe zurück, schildert ihren Kampf, ihre Ängste und Hoffnungen. So schildert er auch das weitere Geschehen, das in den „Sturm auf die Bastille“ mündet.

Rück- und Ausblicke auf das Leben der Einzelnen lassen die Gesamtheit der Revolution aufleuchten – die Zeit der Demokratie, des Terrors und die danach, unter Napoleon. Er schafft ein dicht gedrängtes Szenario, in das ich mich an seiner Hand stürzen kann, miteilen, mitbangen und mittrauern.

Alte Illustration vom Sturm auf die Bastille - Maillard balanciert über eien Planke, um einen zettel zu holen. Die Szene schildert Éric Viullard ins einem Buch
Diese Szene mit der Planke, um über den Graben an einen Zettel zu kommen, schildert Éric Viullard detailliert.

Was mir bis zu der Lektüre nicht so klar war: Die Menschen in Paris hatten in diesen Juli-Tagen Paris einerseits in der Hand und andererseits große Angst vor der königlichen Armee, die, wie es gerüchtweise immer wieder hieß, kurz vor den Toren war. Dadurch bekommt die bekannte Geschichte aus ungewohnter Perspektive noch mal einen ganz andere Dichte, weil Éric Vuillard die Angst so spürbar werden lässt.

Wie erzählt Éric Vuillard?

„Gedrängt“ und „akribisch“ habe ich das eben genannt. Darunter kann man sich ja nur wenig vorstellen, deshalb hier ein paar Beispiele:

Die bei dem Aufstand um die Folie Titon zu Tode Gekommenen werden protokolliert:

Und weiter geht’s. Nummer 3, zwanzig Jahre alt. Ein hübscher, ein Meter siebzig großer Kerl mit zersaustem kastanienbraunen Haar. Er trägt ein Jacke und und eine Wollweste. Und wie bei allen anderen sind es dicke Wolle und grobes Tuch, sind es zusammengewürfelte Knöpfe und eine notdürftige Jacke;

S. 14 (die Hervorhebungen sind im Original)

Das Protokoll der Toten ist deshalb so genau, weil Diebesgut gesucht wird – 18 Leichen sind es und die Offiziellen finden nichts. Das drückt Éric Vuillard dann so aus:

Eine satte Anzahl leerer Taschen.

S. 15

Am 14. Juli dann sind die vielen unterwegs – und ich mittendrin:

Was ist das, ein Menge? Niemand will es sagen. (…) Damals an der Bastille ist Adam dabei, geboren in Saint-Front-de-Perigueux, Béchamp, Schuhmacher, Bersin, Tabakarbeiter, Berhteliez, Tagelöhner aus dem Jura, Bezou, über den nichts bekannt ist, Bizot, Zimmermann, und Mammès Blanchot, über den ebenfalls nichts bekannt ist außer diesem hübschen Namen, der wirkt wie eine Mischung aus Ägypten und Jauche.

S. 55 f

Damit beginnt die Aufzählung und sie geht weiter und weiter, über mehrere Seiten. Manche Namen huschen schnell vorbei, andere bekommen, wie Mammès, einen Kommentar. Diese Nähe, die Éric Vuillard damit erzeugt, nimmt mich mit ins Geschehen. Er ist ganz klar der Historiker, der, der weiß, was aus ihnen wurde, was aus dem Sturm wurde und trotzdem ist er nahe dran, vermittelt kleine Geschichten von Leuten, die sonst keine Aufmerksamkeit bekommen. Gleichzeitig bleibt das große Geschehen und das Wissen der Späteren im Blick.

Ich finde es ein großartiges Buch – so voller Leben und so nah dran an dem Geschehen, wie ich es sonst noch nicht gelesen habe.

Éric Vuillard: 14. Juli, übersetzt von Nicola Denis, Matthes und Seitz, Berlin, 2019, ISBN: 978395757517

Die Stadtbibliothek Köln hat dieses Buch und auch das E-Book im Bestand.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

Einen Kommentar hinterlassen