Sorry, wenn der Titel in die Irre führt, aber Kristen R. Ghodsee hat in diesem Buch nur wenig über Sex geschrieben. Der Untertitel verrät, wieso: „Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit“. Es ist ein hochpolitisches Buch, gerade sehr aktuell – und sehr sehr amerikanisch.
Worum geht es im Buch von Kristen R. Ghodsee?
Es geht um die politischen Folgen ökonomischer Abhängigkeit von Frauen – besonders in den USA.
Erst noch ein paar Worte zu „amerikanisch“: Es gibt ein Vorwort für deutsche Leser:innen, denn tatsächlich ist vieles, was die Autorin schildert, bei uns unbekannt (ich füge hinzu: zum Glück!). Die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in den USA sind in vielen Bereichen mit denen in Europa oder Deutschland nur schwer zu vergleichen. Im Rahmen der Diskussionen rund um die Krankenversicherung dort schwappte auch was von den Diskussionen zu uns. Das erläutert Kristen R. Ghodsee in diesem Vorwort. Das Buch erlaubt mir deshalb einen Blick in eine Gesellschaft, deren Grundlagen sich von der unseren wirklich unterscheiden, auch wenn beide dem globalen Westen zugeordnet sind.
Die Kapiteleinteilung ist eindeutig an weiblichen Problemen einer westlichen Gesellschaft orientiert – die auch bei uns nicht unbekannt sind:
- ungleiche Bezahlung
- Mutterschaft als Karrierebremse
- die Rolle von Chefinnen
- Sex als Ware (da kommt er doch)
- Staatsbürgerinnen nutzen Wahlen
Das letzte Kapitel ist eindeutig politisch, feministisch und anti-Trump.
Insgesamt stellt Kristen R. Ghodsee den Kapitalismus auf den Prüfstand. Vergleichsgrößen sind ihr dabei andere Modelle, u. a. im ehemaligen Ostblock, der UdSSR, deren Nachfolgestaaten und in den skandinavischen Ländern.
Ohne die Gräuel des real existierend habenden Sozialismus kleinzureden, verweist sie auf die Errungenschaften gerade für Frauen in sozialistisch regierten Systemen. „Staatssozialismus“ ist so ein Wort, das bei ihr immer wieder vorkommt – und bei passenden Gelgeneheiten auch die skandinavischen Länder meint. Das ist mir immer etwas aufgestoßen – aber solche Unebenheiten beim Lesen wecken die Aufmerksamkeit 😉
Dieser „Staatssozialismus“ ist für viele Menschen in den USA eine absolute Schreckensvision – ohne dabei zwischen der UdSSR und z. B. Schweden zu differenzieren. Für viele Amerikaner:innen ist „Sozialismus“ und alles, was auch nur von fern daran gemahnt, gleichzusetzen mit Gulag, Schauprozessen und Mangelversorgung.
Dabei gab es sehr fortschrittliche Momente im Ostblock. So habe ich mit Staunen gelesen, dass in den Oststaaten grundlegende sexuelle Forschung betrieben wurde, die die sexuelle Zufriedenheit der Frauen als Orientierungspunkt hatte. Das hat übrigens Auswirkungen bis heute, verliert sich aber doch langsam.
Kristen R. Ghodsee erlaubt mir einen Blick in dieses Denken in den USA – sehr spannend. Es gibt dafür dafür natürlich auch historische Gründe, die sie ebenfalls entfaltet.
Wie schreibt Kristen R. Ghodsee?
Amerikanisch … 😉
Nein, im Ernst: Sie schreibt angenehm und verständlich. Mit „amerikanisch“ meinte ich die persönliche Art und Weise, in der solche Bücher im amerikanischen Umfeld aussehen: Es gibt Erinnerungen an Freundinnen und Freunde, sie schildert im Vergleich dazu die eigene Situation in verschiedenen Stadien ihre Berufs- und Familienlebens, sie steht zu ihren Erfahrungen, die sie privat und als Wissenschaftlerin gemacht hat und bringt diese Ebenen zusammen. Der rote Faden bleibt immer sichtbar: Es geht um die Situation von Frauen in einer Gesellshaft, in der sie weniger wert sind als Männer.
Jedem Kapitel im Buch ist ein Kurzporträt einer Frauenrechtlerin oder Sozialistin des 20. oder 19. Jahrhunderts vorangestellt, nicht nur mit einem Bild, sondern auch mit einem kurzen erläuternden Text:
- Elena Lagadinowa
- Walentina Tereshkowa
- Lily Braun
- Flora Tristan
- Alexandra Kollontai
- Inessa Armand
- Rosa Luxemburg
- Ana Pauker
- Nadeschda Krupskaja
- Und August Bebel, der in seinem Buch „Die Frau und der Sozialismus“ Frauenrechte vertrat.
Und – wie viele der Frauen waren Ihnen bekannt? Ich kannte nur Rosa Luxemburg …
Kristen R. Ghodsee: Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Und andere Anregungen für ökonomische Unabhängigkeit, übersetzt von Richard Barth und Ursel Schäfer, Suhrkamp Edition, Berlin, 2019, ISBN: 9783518075142
In der Stadtbibliothek Köln finden Sie das Buch auch.
Sabine Wirth
11. März 2020 at 15:17Liebe Heike,
da wunder ich mich gar nicht darüber! Michael Moore hat doch schon festgestellt, dass die medizinische Versorgung auf Kuba (!) besser ist als in den USA. Die Versorgungslage ist zwar wieder eine andere Kiste, aber es ist haarsträubend, dass Millionen Amerikaner jetzt wieder nicht krankenversichert sind!
Liebe Grüße von
Sabine
Heike Baller
12. März 2020 at 9:22Liebe Sabine,
zu dem Punkt hast Du recht. Das mit der Krankenversicherung war ja nur ein Beispiel von mir, um zu zeigen, wie in den USA das Wort „Sozialismus“ verstanden wird. Bei Kristen R. Ghodsee geht es um die ungleiche Wahrnehmung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen – dass sie insgesamt weniger wert sind. Auch in gebildeten und gut versorgten Schichten übrigens.
Liebe Grüße
Heike