Tja, der 9. November kommt auch in meiner Familie vor – also musste ich das Buch von Wolfgang Brenner kaufen. Er legt eine Art Kausalkette für die unterschiedlichen Jahre mit einem 9. November vor. Doch der Reihe nach.
Welche Jahre behandelt Wolfgang Brenner?
Aufgeführt werden 1918, 1923, 1938, 1939, „50 Jahre ohne neunten November“ und 1989. Einmal durchs 20. Jahrhundert also. Doch damit nicht genug, bezieht er sich – wie Karl Liebknecht in seiner Schlossrede – auch auf den 9. November 1848. An diesem Tag wurde in Wien der Paulskirchenabgeordnete Robert Blum hingerichtet – das Ende der Märzrevolution von 1848 war eingeläutet. Dieser erste Bezug eines 9. November auf einen 9. November durchzieht das Buch von Wolfgang Brenner. Alle diese Tage hängen für ihn zusammen.
Da kann ich ihm in manchen Beispielen folgen, in anderen nicht.
Bei jedem der Daten schildert er ausführlich, detailliert und mit klarer Position die Ereignisse. Kleinteilig, an einzelnen Menschen orientiert, verfolgt er das Geschehen. Hinzu kommen die Abschnitte des Rück- und Ausblicks:
- Woher stammte Karl Liebknecht?
- Wer genau waren die Münchener Stadträte und was waren ihre Absichten, die der Putsch 1923 zunichte machte?
- Was verband Herschel Grynszpan mit seinem Opfer Legationsrat Ernst vom Rath und was hatte das mit dem Attentat zu tun? (Spoiler: Nichts … )
Warum nun das Debakel von Schabowski am 9. November stattfand, das kann auch Wolfgang Brenner nicht erklären – kausal ist da nichts.
Aber der Zusammenbruch der DDR 1989 hängt seiner Meinung nach mit dem 9. November 1918 zusammen:
Die DDR war nie eine lupenreine Diktatur des Proletariats, wie Liebknecht sie 1918 in Aussicht gestellt hatte. Sie war eine Einparteiendiktatur und ein Bonzenstaat. Dennoch musste sie der inhärenten Logik weichen: Auf lange Sicht lässt sich keine Klasse von einer anderen beherrschen. Auch wenn das nicht die einzige Soll-Bruchstelle des SED-Staates war – es war eine wichtige, und sie hatte ihren Ursprung im 9. November 1918 und in der Vision des Karl Liebknecht.
S. 71
Da Wolfgang Brenner so viele Aspekte mit hinein nimmt in seinen Rück- und Ausblicken, die Geschichten der Protagonisten detailliert nachzeichnet, bettet er seine Geschichte(n) rund um den 9. November in den jeweiligen Kontext ein. So bekomme ich ein Porträt des 20. Jahrhunderts in Deutschland – unter dem Blickwinkel des Datums und der Einschätzung des Autors.
Wie schreibt Wolfgang Brenner?
Lebendig, detailliert bis detailversessen und er hält sich und seine Meinung nicht raus. Das macht das Buch angenehm zu lesen, auch spannend. Doch gilt es eben auch, zwischen den Zeilen zu lesen und ggf. mal was anderes zu Rate zu ziehen, wenn die Interpretationen von Wolfgang Brenner mir etwas sehr forsch daherkommen. Gut, dass da einiges im Bücherschrank steht 😉
Wolfgang Brenner: Das deutsche Datum, Der neunte November, Herder Verlag, Freiburg i. Br., 2019, ISBN: 9783451384752
Die Stadtbibliothek hat das Buch im Bestand.
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