Am Anfang bin ich über das Titelwort „Bezauberin“ gestolpert – Ghita Gothóni setzt offensichtlich auf die Irritation, die durch die ungewohnte Substantivierung entsteht.
Worum geht es? Ein Finne, Erik, der als Übersetzer in Köln lebt (Ghita Gothóni stammt aus Finnland und lebt in Köln 😉 ) reist in seine Heimat, um dort abzuschalten. Eine unglücklich verlaufene Liebesgeschichte seiner Jugend macht den Besuch bei Freunden nicht einfach – er war früher der Partner von Hanna; als sie von ihm schwanger wurde, hat sie das Kind abtreiben lassen und später Kari geheiratet, seinen Freund, der nicht weiß, dass die beiden mal ein Paar waren. Von Kari hat er eine Hütte im Wald gemietet, um dort abzuschalten, resp. in Ruhe zu arbeiten. Spannung liegt in der Luft. Aber nein, Hanna ist nicht (mehr) bezaubernd. Das ist Liisa, eine geheimnsivolle junge Frau, die im Wald, wo Eriks Hütte steht, rumläuft, auf den Felsen meditiert und dort Stimmen hört. Sie fasziniert Erik und nach und nach erfährt er einiges über sie: Sie gilt als beschränkt, schon ihre Mutter und Großmutter waren angeblich geistesgestört. Angeblich ist sie stumm. Sie ist schön und nicht nur Erik fühlt sich von ihr angezogen – Kari offensichtlich auch. Es kommt zu unerklärlichen Vorfällen – Liisa stürzt vom Felsen, das Gartenhaus, in dem sie gelegentlich übernachtet, gerät in Brand. Insgesamt sind die zwischenmenschlichen Beziehungen , sagen wir mal: nicht ganz einfach. Kari fordert Erik beispielsweise auf, sich Hannas sexuell anzunehmen. Dann gibt es noch Karis senile Großmutter, die seit Silvester unter Albträumen leidet und ständig schreit und seine herrschsüchtige Mutter – enstpannte Abendunterhaltung sieht anders aus. Erik findet heraus, dass Liisa weder stumm noch beschränkt ist – ihr Zauber auf ihn verstärkt sich zunehmend.
Ghita Gothóni führt Erik durch ein Labyrinth verschiedener, spannungsgeladener Situationen, deren Sinn sich ihm – und mir als Leserin – erst nach und nach erschließt und gleichzeitig führt sie mich in finnisches Alltagsleben auf dem Lande ein; gut, dörflicher Klatsch ist weltweit verbreitet, aber andere Gebräuche (oder sollte man beim Alkohol von „Missbräuchen“ sprechen?) wie zur Sonnwendfeier erlebt Erik als vertraut und unvertraut zugleich; damit ist er ein Mittler zwischen dem Personal des Buchs und der Leserin.
Wie es sich gehört, stellt sich im Laufe der Zeit heraus, dass alles anders ist, als erwartet – und vieles davon ist wirklich unerwartet. Ein echtes Happy-End hat der Roman nicht, birgt aber die Hoffnung auf eins in der Zukunft. Und wer Krimis mag, kann sich auf ein paar Krimielemente freuen. Ein Kommissar wird Eriks Verbündeter, so viel sei verraten.
Ghita Gothóni schreibt unkompliziert, teilweise poetisch und emotional kraftvoll – das Buch hat mich durchaus in seinen Bann gezogen.
Ghita Gothóni: Die Bezauberin, Dittrich Verlag, Berlin, 2008, ISBN: 9783937717982
Da der Dittrich-Verlag zur Liste der unabhängigen Verlage zählt, kann bei dieser Rezension auch ein Hinweis auf we read indie nicht schaden 😉
In der Stadtbibliothek Köln gibt es das Buch auch 🙂
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