Die Schnitzlers von Jutta Jacobi

Die Schnitzlers von Jutta Jacobi

Jutta Jacobi erzählt „Eine Familiengeschichte“ über mehr als fünf Generationen – vom Großvater, vor allem aber vom Vater des berühmten Autors Arthur Schnitzler bis zu dessen Urenkeln. Mit einer davon, Giuliana, trifft sie sich, besucht Stätten der Familiengeschichte, bekommt persönliche Einblicke. Der persönliche Touch ihrer Erzählung macht das Buch angenehm und unterhaltsam zu lesen.

Wer erwartet, nun gleich auch eine Einführung in das Werk des Autors Arthur Schnitzler zu bekommen, wird vielleicht enttäuscht, denn das spielt nur dann eine Rolle, wenn es im privatn oder gesellschaftlichen Leben der Familie Wellen schlägt – „Leutnant Gustl“ z. B., der seinen Autor den Rang im Militätr kostet oder das berühmte Stück „Reigen“, das einen Theaterskandal erster Güte nach sich zog.

Ansonsten geht es erst um den Aufstieg des kleinen Ostjuden Johann Schnitzler, dier sich als Arzt in Wien nach oben kämpft und gegen Ende seines Lebens mit dem aufkommenden Antisemitismus konfrontiert wird. Es geht um Arthur Schnitzler, der sein Medizinstudium zu Ende bringt und bis zum Tod des Vaters als Arzt praktiziert – eine Laufbahn als Dichter traut er sich erst danach einzuschlagen. Es geht um die Zeitläufte, die einem Autor jüdischer Herkunft nicht besonders wohl wollen; Arthur Schnitzler erlebt nur die Anfänge des italienischen Faschismus hautnah mit: Seine Tochter Lili heiratet mit nur 17 Jahren Arnoldo Cappellini, einen Faschisten, den sie sehr bewunderte, genau wie ihre Mutter Olga. Arthur Schnitzler unterstützt das junge Paar. Unvorstellbar, oder? Ein jüdischer Schrftsteller, der den Antisemitismus selbst erlebt hat, schon bei seinem Vater, lässt zu , dass seine geliebte Tochter einen Faschisten heiratet. Lili schoss sich ein Jahr später eine Kugel in die Brust und starb an einer Blutvergiftung. Es geht um die Familie seines Sohns Heinrich, die in die USA emigrierte. Dessen Sohn Peter gründete dort seine Familie – seine Tochter Giuliana ist die oben erwähnte Gesprächspartnerin von Jutta Jacobi. Und dann gibt es dann noch die Menschen aus den für uns „Nebenzweigen“ der Familie – die Nachfahren der Geschwister von Johann und Arthur

Manche Szenen muten ein bisschen theatralisch an – so, wenn Jutta Jacobi der Mutter Arthur Schnitzlers beim Briefeschreiben über die Schulter blickt und sie um Erlaubnis bittet, diese Briefe lesen zu dürfen. Oder die Szene, wenn die Familie 1873 zur Eröffnung der Weltausstellung fährt und Jutta Jacobi so eine von den Fragen in den Raum stellt, die einen schon mal beschleichen, wenn man sich die Mode der damaligen Zeit in Erinnerung ruft:

Ich stelle mir vor: Louise Schnitzler im Tournürenkleid, wie es die Moden seit 1870 den Damen vorschreibt und frage mich, wohin beim Sitzen mit dem hufeisenförmigen Gestell oberhalb des Gesäßes, das dem Rock die gewünschte Form und jeder Trägerin die Silhouette einer gut gemästeten Gans verleiht. (S. 64)

Pierre-Auguste Renoir 089
An der Charakterisierung der Mode ist was dran, oder? Hier ein Exemplar von Renoir.
Ich habe an der Stelle laut gelacht – ein bisschen viel Phantasie, ein bisschen wenig sachliche Distanz, ja, das stimmt. Aber wie schon gesagt: Solche Episoden verleihen Eingängigkeit, leichte Lesbarkeit. Und warum soll ich mich beim Lesen einer Biographie nicht auch unterhalten lassen?

Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig auf den männlichen Familienmitgliedern – der Arzt, der Autor, der Regisseur, der Maler und Dokumentarfilmer, der Musiker. Auch die Frauen machen Karriere, erobern sich einen Platz in der Welt – doch das kommt nur am Rande vor. Dem Untertitel „Eine Familiengeschichte“ wird das Buch nur in beschränktem Maße gerecht, denn schon die Seitenanzahl macht deutlich, dass Arthur Schnitzler, zusammen mit seinem Vater Johann, den Hauptteil ausmacht. Verständlich, denn ohne seinen Vater wäre Arthur Schnitzler nicht geworden, was er war.

Ganz am Ende ihres Buches hat Jutta Jacobi notiert, wie die heutigen, weit vertreuten Schnitzlers kommunizieren: Sie skypen. Keine langen Briefe mehr, aus denen spätere Biographen ihre Informationen ziehen können …

Gesamtfazit: Eine in weiten Teilen gut lesbare Biographie einer österreisch-amerikanisch-österreichischen Familie.

Jutta Jacobi: Die Schnitzlers. Eine Familiengeschichte, Residenz Verlag, St. Pölten, 2014, ISBN: 9783701732791 .

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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