Zum 300. Geburtstag der Karschin – 1.12.1722

Zum 300. Geburtstag der Karschin – 1.12.1722

Obwohl ihre Ehen unglücklich waren – als „Karschin“ bezeichnetet sich Anna Louisa Karsch auch selber. Daniel Karsch, ihr zweiter Ehemann war ein Trinker – der Ehename blieb ihr, auch nachdem sie ihn verlassen hatte.

Wie lebte die Karschin?

Ich fasse hier jetzt nur ein paar Quellen kurz zusammen, u. a. aus der Wikipedia und der Bibliotheca Augustana. Eine längere Liste gibt’s am Ende.

Anna Louisa Karsch war die Tochter eines Wirtshauspächters, der früh verstarb. Vier Jahre konnte sie bei einem Onkel leben, der ihr Lesen und Schreiben beibrachte und so die Grundlagen für ihre literarische Karriere legte. Zurück bei Mutter und Stiefvater diente sie als Magd und Viehhirtin. Über einen „Kollegen“ bekam sie Zugang zu Lesestoff.

Die Mutter verheiratete die 15-Jährige dann an einen Mann, der fürs Dichten so gar nichts übrig hatte. Er ließ sich von der mit dem vierten Kind hochschwangeren Frau scheiden – Vernachlässigung der Haushaltspflichten! Der nächste Ehemann war nicht besser – eben Daniel Karsch, ein Trinker und gewalttätig.

Wie es Frauen damals so erging, gebar Anna Louisa Karsch weitere Kinder und verdiente sich nebenher etwas als Gelegenheitsdichterin. Hochzeiten, Taufen, Begräbnisse waren die Anlässe. Aber auch Loblieder auf Friedrich II und seine militärischen Erfolge verfasste die Karschin in Schlesien – und die wurden dann populär, erschienen auf Flugschriften. Ihr Bekanntenkreis vergrößerte sich. Darunter dann auch Offiziere. Ihr Mann wurde eingezogen, die Karschin war frei und siedelte mit ihrer Tochter nach Berlin über.

Dort war aber auch nicht alles mit Rosen geschmückt – finanzielle Not kein Fremdwort. Neben der Freundschaft mit Dichtern ihrer Zeit, schloss die Frau aus der untersten Gesellschaftsschicht Bekanntschaft mit Menschen, gerade auch Frauen, die nach der damaligen Ordnung weit über ihr standen. Liest man bei zeno.org mal die Titel, ist daran zu ersehen, wie vielen Menschen Anna Louisa Karsch Gedichte gewidmet hat. Und da ist einiges an Panegyrik dabei …

Um Geld und Unterstützung musste sie immer wieder bitten – auch Friedrich II kriegt da was ab:

Seine Majestät befehlen, / Mir, statt eines Hauses Bau, / Doch drei Thaler auszuzahlen. / Der Befehl ward ganz genau, / Prompt und willig ausgerichtet, / Und zum Dank bin ich verpflichtet. / Aber für drei Thaler kann / Zu Berlin kein Hobelmann / Mir mein letztes Haus erbauen, / Sonst bestellt‘ ich ohne Grauen / Morgen mir ein solches Haus, / Wo einst Würmer Tafel halten / und sich ärgern übern Schmaus / Von des abgehärmten, alten, / Magern Weibes Überrest, / Das der König – seufzen lässt. (Quelle)

Porträt einer alten Frau aus dem 18. Jahrhundert, in Brauntönen. Sie trägt eine weißen Schleier auf dem Kopf. Sie schreibt auf einem Blatt Papier.
Porträt der Karschin im Jahr vor ihrem Tod.

Was für eine Dichterin war Anna Louisa Karsch?

Von den Zeitgenoss*innen wurde sie als Naturtalent angesehen und behandelt. Ungeschult sei sie – das hat sie auch Friedrich II bei ihrer Audienz so erzählt. Ihren Bericht davon schickte sie an Johann Wilhelm Ludwig Gleim, ihren engen Freund.

Doch so ungeschult war sie ja gar nicht.

In ihrem Aufsatz „„Auch die fruchtbarsten Bäume wollen beschnitten sein“: Georg Friedrich Meiers Konzept der Einbildungskraft und Dichtungskraft und die Kritik an Anna Louisa Karsch“ von 1995 zeichnet Sabine Mödersheim die literarische Bildung der Karschin nach:

  • Lesen und Schreiben lernte sie bei ihrem Onkel
  • Der Viehhirt gab ihr was zu lesen

Das sind die von den Zeitgenoss*innen akzeptierten Elemente. Doch Sabine Mödersheim weist darauf hin, dass dieses Naturtalent schon früh mit komplexen literarischen Formen umzugehen wusste. Übrigens auch, dass sie bereits sehr früh ihre Texte auch bearbeitete (S. 44).

Gerade in ihren Zeiten als Magd waren die Möglichkeiten, erdachte Texte auch aufzuschreiben selten – nur am Sonntag hatte sie frei. Da nun Gesungenes sich leichter einprägt als Geschriebenes, griff die junge Frau auf Texte und Formen zurück, die ihr vertraut waren: Lieder aus dem Gesangbuch. Und wer Texte von Paul Gerhardt oder Luther kennt, weiß, dass das nicht einfach Knittelverse sind. Wer sich das einprägt, kennt eine Menge literarischer Formen – auch wenn die Fachbegriffe dazu fehlen mögen. (S. 45)

Hinzu kam bei der Karschin wohl eine ausgeprägt schnelle Auffassungsgabe – wie Sabine Mödersheim zitiert, erwähnt Gleim gegenüber einem Freund die Lektüre dieser Frau. Wenig sei es …

Lesen thut sie wenig, aber was sie liest, wird augenblicklich von ihr genutzt; Herr Sulzer gab ihr den Plutarch zu lesen, sogleich waren in allen ihren Gedichten Spuren davon, ich erzählte ihr vieles von der griechischen Sapho und Wolfs gesamieten Nachrichten, alles wurde angebracht; sie wolte was zu lesen haben, zehn Bücher gab sie mir zurück, ich gab ihr Xenophons Cyropedie und sie hörte nicht auf zu lesen; die zwei Bücher der Ilias, die zu Zürich in Hexametern herausgekommen sind, verschlang sie, kurz die Alten waren ihr alles in allem.

(aus Möderheim, S. 46)

„Wenig“ – in der Tat 😉

Berufsdichterin im 18. Jahrhundert – eine Herausforderung

Als alleinstehende Frau mit Kindern musste Anna Louisa Karsch zusehen, wie sie Geld verdiente. Sicher unterstützten Gönner*innen sie – aber das ist eine unsichere Grundlage.

Nicht umsonst hat sie bei ihrer Audienz beim König ihre Lobgedichte auf seine Siege erwähnt – mit magerem Ertrag. Es macht aber deutlich, wie sie kämpfen musste.

Hinzu kam, dass sie zwar als Naturtalent, als deutsche Sappho, gelobt und gepriesen wurde, viele Leute kannte, in hohen Kreisen verkehrte – doch denen war die Sorge um das tägliche Leben nicht wirklich präsent, nehme ich mal an.

Anna Louisa Karsch war ja in zweierlei Hinsicht besonders:

  • Sie entstammte dem vierten Stand – nicht die Gesellschaftsschicht, die Bildung genießen konnte.
  • Und sie war eine Frau!

Beides führte dazu, dass sich ihre Gönner eben immer als Gönner fühlen konnten. Mochte Johann Wilhelm Ludwig Gleim auch in einem Brief an Joann Peter Uz schreiben, dass sie von der Kreativität der Karschin beschämt sein könnten (Mödersheim, S. 38) – die Grundlage dafür war aber die natürliche Überlegenheit dieser gebildeten Männer über eine Frau aus dem vierten Stand!

Deshalb wurde ja auch an den Gedichten rumgemacht, als es um die Veröffentlichung ging. Sabine Mödersheim faltet das in ihrem Artikel sehr schön aus.

„Naturtalent“? Ja.

Publikation mit Ecken und Kanten, die gebildeten Leser*innen aufstoßen könnten? Nein!

Mein Fazit

Ich bewundere die Karschin sehr. Nicht alle ihre Gedichte entsprechen meinem Geschmack aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Aber sie hat ein paar sehr hübsche Volten in ihren Texten, wenn man sich mal auf die Form einlässt. Mein erster Kontakt mit ihr war das Lob der schwarzen Kirschen … Ich finds nach wie vor lesenswert.

Mit dem Schlagwort „Anna Louisa Karsch“ können Sie hier im Blog einige ihrer Gedichte finden – ich habe 2022 zwei mal pro Monat einen Text von ihr hier eingestellt.

Meine Quellen:

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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