Wir sehen uns dort oben von Pierre Lemaitre

Wir sehen uns dort oben von Pierre Lemaitre

Nicht ganz Thema 1914, denn der Große Krieg lieg in seinen letzten, allerletzten Zügen, wenn wir Albert, Édouard und Leutnant Pradelle begegnen. Letzteren schrecken die Gerüchte um einen Waffenstillstand – und so sorgt er für ein letztes Gefecht. Albert findet das heraus, wird im selben Moment verschüttet und überlebt nur wegen eines Pferdeschädels, in dem sich noch Luft befindet und weil Édouard ihn ausgräbt. Dem zerfetzt nun aber ein Geschoss das Gesicht – der Unterkiefer ist weg. Pierre Lemaitre nimmt uns mitten hinein ins Geschehen – das Grauen der Kämpfe, der bevorstehende Erstickungstod Alberts, alle Gefühle der drei Männer treffen mich unmittelbar. Das ist der Stil von Pierre Lemaitre.

Was nun kommt, ist die Zeit nach dem Großen Krieg, die Zeit der Verlierer und der Nachkriegsgewinnler. Albert kümmert sich um Édouard, besorgt ihm Morphium gegen die Schmerzen, unterstützt seine Flucht aus dem Lazarett und bleibt mit ihm zusammen in Paris. Schon im Lazarett hat er Begegnungen mit Pradelle, der Angst hat, sein letztes Manöver könnte auffliegen.

Ossuaire provisoire de Douaumont
Ein provisorisches Beinhaus bei Douaumont – eine wunderbare Fundstätte für Pranelle …
Pradelle, adliger Herkunft, wenn auch verarmt und nicht besonders gut erzogen – vulgo: er ist ordinär, vulgär und einfach ein A**** -, steigt nach dem Krieg auf. Umbettung von Leichen im großen Stil ist sein Geschäft. Aber auch Albert und Édouard haben eine Geschäftsidee, die ihnen überleben hilft, ja sogar Reichtum verschafft.

Dass die drei sich wieder begegnen, ist keine Überraschung. Wie das dann endet, ist allerdings schon überraschend.

Pierre Lemaitre bleibt nahe dran mit seiner Erzählweise. Immer wieder zeigt er auch die komischen Seiten auf – doch das Lachen will einem im Halse stecken bleiben, denn die Kapriolen der drei sind zu gut vorstellbar. Und wohl auch zu nah an der Realität – Geschacher mit Gefallenen und Geldschneiderei mit dem Gedenken an sie gab es ja tatsächlich, wenn auch in anderer Form.

Ein faszinierendes Buch, ein packender Stil – manchmal braucht man starke Nerven. Lesenswert.

Pierre Lemaitre: Wir sehen uns dort oben, übersetzt von Antje Peter, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart, 2014, ISBN:  9783608980165

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

Bisher gibt es noch keine Kommentare

  • Luchen

    20. März 2015 at 16:40 Antworten

    Sagen Sie bloß, Sie haben immer noch Sachen zum ersten Weltkrieg.

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