Wie bereits gesagt: Ich bin keine besonders große Cineastin – Film als Medium liegt mir nicht so. Trotzdem habe ich jetzt mal in die Verfilmung der Winnetou-Geschichten von RTL reingeschaut.
Dass die Story so gut wie nichts mit dem Buch zu tun hat – geschenkt. Das war bei den Klassikern aus dern 60ern auch in vielen Teile so. Nicht so extrem, aber auch die waren nur an Karl Mays Geschichte angelehnt. Es gibt aber ein paar Sachen, die mich echt gestört haben:
- In einem Gespräch mit Nscho-tschi sagt Karl May, er glaube nicht an Götter, sondern an die Vernunft. Das widerspricht Karl Mays Selbstdarstellung in allen seinen Büchern diametral (ob er nun tatsächlich so fromm war …? Immerhin hat er auch geistliche Musik geschrieben (ich hab davon 2012 mal was im Chor gesungen))
- Die als gebrochen rüberkommende Sprechweise von Winnetou, Intschu-tschuna und Nscho-tschi lässt besonders Winnetou gegenüber Karl May als unterlegen erscheinen – und gerade das ist er ja nicht. Auch der Boxunterricht passt nicht in das Original-Muster von Karl May, der sich als Schüler Winnetous verstand (zumindest am Anfang) und später einen Freund auf Augenhöhe
Eher lustig, weil an Mays eigene Hochstapeleien erinnernd, ist die Idee mit dem Diplom-Ingenieur – dumm nur, dass es den Titel erst ab 1899 gab 😉 und andererseits die Erschließung des Westens in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts zugrundeliegt. Authentizität als Ziel in allen Ehren, aber dann bitte historisch korrekt. Dieser grobe Schnitzer lässt mich an den anderen „historich korrekten“ Elementen dann auch zweifeln
- die Situation auf dem Bau
- die provisorischen Siedlungen
- die Riten der Indianer usw.
Dabei ist eine solche historische Authentizität bei einem Phantasieprodukt wie Mays Reiseerzählungen andererseits natürlich Blödsinn.
Insgesamt hat man da eine Wild-West-Abenteuer-Geschichte gedreht, die sich bestimmter Namen bedient, mit dem Original aber nichts zu tun hat – und das nur, weil in den 60ern mit Pierre Brice und Lex Barker Ikonen dieses Themas erwuchsen; von dem Mythos wollte man wohl profitieren. Der Rückbezug auf diese alten Filme wird ja regelrecht zelebriert:
- Musikzitate
- Mario Adorf, der wieder mitspielt (in einem der beiden folgenden Filme auf Winnetou I)
- Marie Versini, die ehemalige Nscho-tschi-Darstellerin, die Karl May im Zug vor den ach so gefährlichen Indianern warnt
- Gojko Mitić, der zu DDR-Zeiten als Indianer die Prärie durchstreifte und später als Winnetou-Darsteller Pierre Brice in Bad Segeberg ablöste
Ob die krude Geschichte ohne die Namen Winnetou und Old Shatterhand funktionieren würde – eher unwahrscheinlich, denn „klassische“ Wildwest-Geschichten sind nicht so ganz zeitgeistgemäß. Ich bin also alles andere als überzeugt von diesem Film 🙂
Maike
12. Januar 2017 at 13:38Au je, dann bin ich im Nachhinein ganz froh, mir den Film nicht angetan zu haben. Und, nein, historische Korrektheit ist bei Karl Mays sehr fabulierfreudiger Welt natürlich eigentlich nicht zu erreichen – aber wenn man schon damit angibt, gut recherchiert zu haben, sind solche Schnitzer natürlich etwas peinlich.
Was nun das Glaubensthema angeht … Über die persönlichen Ansichten eines Menschen in der Rückschau eine Aussage zu treffen, ist immer schwierig, aber bei Karl May kann man zumindest konstatieren, dass sein Ich-Erzähler oft christliche Überzeugungen äußert (dein schöner Old-Surehand-Artikel von neulich enthält ja sogar ein Beispiel dafür) und dass bei ihm selbst gerade in späteren Jahren ein wie auch immer geartetes Interesse an spirituellen Dingen vorhanden gewesen zu sein scheint. Insofern hört sich das, was du da schilderst, schon nach einer gewagten Uminterpretation der Old-Shatterhand-Figur an.
Heike Baller
12. Januar 2017 at 13:46Liebe Maike, vielen Dank für Deine reflektierten Überlegungen zu meiner etwas voreiligen Aussage bzgl. Religiosität bei Karl May. Mein Mann hat übrigens auch in den 2. Teil reingeschnuppert und meint, der sei nicht besser …