Vitamin V wie Wohnung von Katja Heimann

Vitamin V wie Wohnung von Katja Heimann

Ohne allzusehr zu spoilern: Sobald Thies und sein Laden auftauchen, ist klar, wie die Protagonistin von Katja Heimann ihr Problem gelöst bekommt. Bis dahin muss aber noch eine Menge passieren.

Im Gegensatz zu Rea und Bruno sind Leserinnen des Klappentextes auf die Überraschung vorbereitet, die den beiden blüht. Nach ihrem Urlaub wollen sie zu Hause entspannen, doch wie sie mit eigenen Augen sehen müssen und ihnen ihr Freund Eggert (was für ein Vorname – ich dachte erst, es sei der Nachname) erklären will, lebt da jetzt – noch – jemand anderes: Nora mit ihrem vierjährigen Sohn Colin. Ein experimentierfreudiger Teenager hat ihr bisheriges Heim mittels Explosion unbewohnbar gemacht – ohne Chance, in die Wohnung zurückzukehren. Und als alleinerziehende Mutter, freiberuflich mit Kindergartenkind hat es Nora auf dem Wohnungsmarkt schwer. Sehr schwer.

Rea und Bruno wollen die beiden ungebetenen Besucher schnellstmöglich loswerden. Doch ihr Gewissen lässt einen schlichten Rauswurf nicht zu. So arrangieren sich die vier – bis auf weiteres. Das ist nicht so einfach:

  • Nora fühlt sich genötigt, so nützlich und unsichtbar wie möglich zu sein – beides nervt Rea und strapaziert Nora.
  • Rea schwankt zwischen Freude am Zusammensein mit Colin – eigene Enkelinder sind nicht zu erwarten – und bloßliegenden Nerven, wenn das Kind gerade mal nicht so in den Alltag des Rentnerehepaars passt.
  • Bruno sieht die Sache etwas gelassener – aber traute Zweisamkeit mit Rea ist auch sein Ziel.

Neben dem anstrengenden Alltag als freiberufliche Übersetzerin kommen bei Nora dann noch weitere Stressfaktoren hinzu:

  • Die Kommunikation mit ihrem Webhost gestaltet sich schwierig – es droht die Löschung ihrer Website.
  • Die Mutter eines Kindergartefreundes von Colin sorgt auch immer wieder für Chaos – Termine sind nicht so ihrs.
  • Ein Kollege aus dem Übersetzerkollegenkreis ist sehr interessiert an Nora – aber sie nicht an ihm.
  • Überhaupt: Männer in Noras Leben, da tun sicn ungeahnte Möglichkeiten auf – und nein, mehr verrate nicht.
  • Die Wohnungssuche ist mehr als unerfreulich – ein getreues Abbild der aktuellen Situation nicht nur in Hamburg.

Small tomatoes
Eine bestimmte Sorte kleiner roter Tomaten spielt eine wichtige Nebenrolle
Was mit Thies ist, müssen Sie schon selbst lesen 😉

Und welche Katstrophe sich aus dem Zusammenleben der Generationen ergibt – auch das überlasse ich Ihrer eigenen Lektüre.

Wie erzählt Katja Heimann?

Die Perspektive wechselt immer wieder zwischen der von Rea und ihrem Umfeld – hier hat sich Katja Heimann für eine personale Erzählhaltung entschieden – und der von Nora – aus der Ich-Perspektive. Auch innerhalb der Passagen, in denen nicht Nora erzählt, wechselt die Sichtweise; vor allem Rea kommt häufig vor, aber auch Bruno, Eggert und Thies. So entsteht Nähe zu allen Figuren. Manche Szene gibt es so aus zwei Blickwinkeln – das lässt zwar die Erzählung quasi rückwärtsschreiten, macht aber die Handlungen der Einzelnen nachvollziehtbar. Besonders bei Rea ist das nötig, denn sie ist eine ambivalente Person – sowohl in Freude wie in Leid rasch mit Urteil und lautstarker Stimme im Vordergrund.

Katja Heimann schreibt flüssig und teilweise mit sehr großem Charme. Beispiel gefällig?

Ein leises Geräusch drang in meinen Schlaf und zerrte mein widerwilliges Bewusstsein an die Oberfläche. (S. 45)

Blackbird with berry, Omagh - geograph.org.uk - 276585
Wer dann am Ende die Früchte erntet, ist auch bei Amseln nicht immer klar, Kenneth Allen, Blackbird with berry, Omagh – geograph.org.uk – 276585, CC BY-SA 2.0
Besonders mag ich ja die winzigkleine Geschichte von den Amseln, die Nora vom Fenster aus beim Kampf um eine Kirsche beobachtet – so anschaulich und lebendig ist sie geschildert.

Es gibt aber auch ein paar Punkte, wo ich denke, kürzen hätte gut getan – mancher Satz will zu viel. Im Großen und Ganzen hätte noch etwas mehr „Show“ vielleicht etwas mehr Zug in manche beschreibende Szene gebracht.

Aber das ist Mäkeln auf recht hohem Niveau – Katja Heimann hat eine unterhaltsame Geschichte geschrieben, die in unserer heutigen Welt spielt und verschiedene Themen hat: Der Generationenkonflikt zwischen Nora und ihren unfreiwilligen Gastgebern ist nicht der einzige Aspekt, wo „Generation“ eine Rolle spielt. Die aktuelle Wohnungssituation in unseren Großstädten hatte ich schon angesprochen. Die Freiberuflichkeit der Protagonistin ist authentisch dargestellt – wie auch nicht bei einer Freiberuflerin. So können unterschiedliche Leserinnen und Lesesituationen ihr Thema finden.

Und ja, das will ich Ihnen nicht vorenthalten: An einer Stelle habe ich gebrüllt vor Lachen – Rea hat auf ihrem Lesestapel ein Buch, das ich Ihnen auch einmal vorgestellt habe – Süß ist der Tod von Emma Conrad.

Katja Heimann: Vitamin V wie Wohnung, tredition, Hamburg, 2017, ISBN: 9783743969605

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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