Tod im Paradies von Alberto Dines

Tod im Paradies von Alberto Dines

Nachdem ich den Film „Vor der Morgenröte“ dank der Verlosung meiner Netzwerkkollegin Daniela Dreuth sogar auf Verleiherkosten sehen konnte, habe ich nach Jahren und Jahren noch mal die Biographie Zweigs von Alberto Dines zur Hand genommen. Der Schwerpunkt dieses brasilianischen Autors liegt ganz klar auf der Zeit Zweigs in und der Verbindung Zweigs zu Brasilien. Wie er in seinem Vorwort schreibt, wurde das Werk, das zum 100. Geburtstag Stefan Zweigs 1982 erstmals erschien, in Deutschland abgelehnt – was sollte so ein südamerikanischer Autor schon zu einem deutschen Autor zu sagen haben … Er hat eine Menge zu Stefan Zweig zu sagen und es ist sehr spannend.

Gleich zu Beginn macht Alberto Dines zwei Sachen deutlich:

  • Der Selbstmord Stefan Zweigs und seiner Frau Lotte beruht auf Missverständnissen, die mit der Einstellung Zweigs zu Brasilien zu tun haben – und mit dem Missverständnis dieser Beziehung zwischen dem am Ende 60-Jährigen und der zum selben Zeitpunkt noch nicht 34-Jährigen.
  • Und er befasst sich ausführlich mit Lotte.

Mit dem ersten Thema beginnt Alberto Dines sein Buch, denn er startet mit Zweigs erster Brasilienreise 1936.

Der förmliche Zweig würde niemals von seinen Gastgebern verlangen, anderen Intellektuellen und Künstlern vorgestellt zu werden. Er glaubte, sie  müssten die authentischsten Vertreter der einheimischen Intelligenz sein. Dies war einer seiner ersten Fehler, für die er bis zum Ende bezahlen sollte (S. 55)

Stefan Zweig Signature 1927
Stefan Zweigs Unterschrift

Alberto Dines beschreibt in diesem Absatz, die Diskrepanz zwischen dem Brasilien, dem Stefan Zweig sich schwärmerisch zuneigte, weil er die offensichtliche Farbigkeit der Bevölkerung für ein friedliches und gedeihliches Miteinander hielt, während er aufgrund der mangelnden Kontakte zu Journalisten, Autorinnen und Künstlern, die nicht mit der Regierung konform gingen, die Unterdrückung von Minderheiten nicht sehen konnte. Da Alberto Dines einige der Zeitzeugen noch selber befragen konnte, gibt es eine Menge ausführlicher Fußnoten, in denen Menschen zu Wort kommen, die ihm Rede und Antwort standen. (Zum Glück sind es Fuß- und nicht Endnoten!) Nur wenige Seiten nach dem Zitat eben kontrastiert er das Erleben Zweigs mit der Schilderung der Auslieferungen von jüdischen Intellektuellen nach Deutschland, in den Tod – Stefan Zweig nimmt die profaschistischen Strömungen im Land nicht wahr.

Die Beziehung zu Lotte beruht nach Albero Dines auf Mitleid – der Roman „Ungeduld des Herzens“, der zu der Zeit der jungen Ehe entstand, trägt als englischen Titel „Beware of pity“, was man mit „Vor Mitleid wird gewarnt“ übersetzen kann und im Französischen heißt das Buch „La Pitié dangereuse“ – „Das gefährliche Mitleid“; in der gelähmten jungen Frau des Romans sieht der Biograph ein Porträt der jungen Ehefrau. In einem Brief an Friderike, seine erste Frau, ist schon bald davon die Rede, dass er nicht mehr als Liebhaber anzusehen sei und schon ganz am Anfang seines Buchs weist Alberto Dines darauf hin, dass bei der ersten Reise nach Brasilien nicht Lotte, sondern Friderike die Adressatin seiner Briefe ist – Lotte sei in dem Moment komplett vergessen. Die Ansprüche, die Lotte als Nachfolgerin von Friderike an sich stellt, ihre Erkrankung, die dann in den Abschiedsbriefen an die Familie eine Rolle spielen wird – allen oft nur bruchstückhaften Informationen zu der jungen Frau geht Alberto Dines nach. In der Graphic Novel „Die letzen Tage von Stefan Zweig“ drücken die Autoren die Verzweiflung aus, die Lotte wohl durchlitten hat – wissen tun wir es nicht. Nach den Indizien im Sterbezimmer und aus den Berichten nimmt Alberto Dines an, dass Lotte nach Stefan starb – erst als sie wusste, dass er tot war; ein bewusster Akt, erstmals in dieser Beziehung wäre sie frei gewesen, anders zu entscheiden als der so viel ältere Mann. Sie hat es nicht getan.

Das "offizielle" Foto des Ehepaars Stefan und Lotte zweig - Alberto Dines interpretiert in seiner Biographie die Körpersprache der beiden
Das  „offizielle“ Foto des Ehepaars Stefan und Lotte Zweig – Alberto Dines interpretiert in seiner Biographie die Körpersprache der beiden

Alberto Dines spürt dem Charakter Zweigs nach – auf der einen Seite das Bedürfnis nach regem Austausch, auf der anderen das nach Zurückgezogenheit. Und der Hang zu Depressionen – Stefan Zweig spricht von seiner „schwarzen Leber“ -, der schon früh sein Leben verdunkelt. Neben den politischen Missverständnissen in Hinblick auf Brasilien, die zu Anfeindungen und Ausgrenzung führten, sei ein weiteres Missverständnis ursächlich für den Freitod: Das von im selbst überschätzte Bedürfnis nach Zurückgezogenheit, das ihn in die Isolation von Petrópolis führt:

Er hat verkündet, dass er Einsamkeit bräuchte. nun ist er allein (…) Er wollte Herr seines Schicksal sein, es ist ihm gelungen – er hat nichts zu beklagen, eine schlimmere Strafe kann es nicht geben. (S. 504)

Alberto Dines kann mir als Brasilianer die politische Situation des Landes, in dem Stefan Zweig Zuflucht suchte, näher bringen – denn mal ehrlich: Was wissen Sie über die politischen Zustände von Brasilien zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs – oder auch heute? Ich weiß da wenig. Und von daher hat er eine Menge zu Stefan Zweig zu sagen.

Die vorliegende Ausgabe ist eine für den deutschen Markt erweiterte Ausgabe der dritten Auflage des Werks – Alberto Dines hat einige Quellen nur für dieses Lesepublikum mit hineingeholt. Es ist eine lesenswerte Biographie. Nicht nur wegen des Inhalts – auch sprachlich ist das Buch gelungen. Dass Alberto Dines Stefan Zweig als Grundschüler sogar selber gesehen hat und sein Vater ein signiertes Foto Zweigs gerahmt im Büro hängen hatte, sind die biographischen Details zum Biographen selber, die seine Faszination so nachvollziehbar machen.

Alberto Dines: Tod im Paradies. Die Tragödie des Stefan Zweig, übersetzt von Marlen Eckl, Büchergilde Gutenberg, Frankfurt/Main, 2006, Lizenzausgabe für die Edition Büchergilde, 2006, ISBN: 9783936428643

Und da das Buch schon so bejahrt ist, gehört es in die Reihe der Rezensionen der Golden-Backlist-Challenge von Papiergeflüster.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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