„Eine europäische Katastrophe“ lautet der Untertitel des von Bruno Cabanes und Anne Duménil herausgegebenen Bandes – es versammelt 72 Beiträge von neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Einzelne Ereginisse bilden den Ausgangpunkt für die knappen Artikel, die jeweils einen Aspekt des Kriegs behandeln: Frauen als Kämpferinnen oder als Opfer, Auswirkung des Kriegs auf die Kunst oder auf die Sprache in den Schützengräben, Kostenfaktor Krieg und industrielle Mobilmachung an der Heimatfront, um nur einige zu nennen.
Auch der Zeitrahmen, den die Autorinnen und Autoren abhhandeln, ist interessant: Der erste Beitrag geht zwei Jahre zurück – die Balkankriege 1912 gehören schon in das Szenario, das dem ersten Weltkrieg den Weg bereitete. Die letzten Artikel befassen sich mit den Wirkungen des Kriegs bis in die 20er Jahre: Ruhrbesetzung, Heimatlose, unbestattete Soldaten, Eröffnung des War Memorial. Besonders eindrücklich ist dabei der Beitrag über die Verstümmelten des Krieges – der medizinische Fortschritt lässt viele mit schwersten Verletzungen überleben, was z. B. Versorgungsleistungen für diese Veteranen erfordert. Viele Menschen sind traumatisiert, leiden unter psychischen Beschwerden, die man nicht sehen kann. Eine neue Entwicklung. Die gesellschaftlichen Verwerfungen sind enorm: Ehemals erwerbsfähige Männer sind auf Almosen angewiesen, Ehen zerbrechen, Krüppel gehören zum Straßenbild, die Dankbarkeit gegenüber den „tapferen Jungs“ wandelt sich in Ablehnung.
Gerd Krumeich stellt in seinem Vorwort die Arbeit des Historial de la Grand Guerre vor und ordnet die Beiträge der Historikerinnen und Historiker dort ein (ein Großteil der Beiträge stammt von den Herausgebern Bruno Cabanes und Anne Duménil) – bei allem internationalen Ansatz konstatiert er ein gewisses Übergewicht der französischen Sicht. Die Verbundenheit der Autorinnen und Autoren zu dieser Forschungs- und Gedenkeinrichtung ist auch ein Grund dafür, dass sie tatsächlich „nur“ die „europäische Katastrophe“ behandeln – Kriegsereignisse außerhalb Europas kommen, wenn überhaupt, nur am Rande vor.
Viele Abbildungen bringen das Grauen des Kriegs nahe – darunter Bilder vom Frontgeschehen, aber auch Fotos von Ausrüstungsgegenständen, Uniformteilen usw. aus dem Historial de la Grand Guerre und Propaganda-Plakate.
Die Gestaltung des Bandes ist in erster Linie dazu geeignet, ein bisschen zu blättern. Man kann es chronologisch lesen, muss es aber nicht. Insgesamt ist es ein spannendess Buch, weil hier Aspekte des Kriegs behandelt werden, die sonst nich tim Fokus stehehn. Die Kürze der einzelnen Beiträge gehört ebenfalls zu den „Annehmlichkeiten“ – wenn mich ein Thema beschäftigt, muss ich nicht lange suchen, sondern finde was mich interessiert im Inhaltsverzichnis und kann sofort medias in re gehen. Ein gelungenes Projekt.
Cabanes, Bruno; Duménil, Anne (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Eine europäische Katastrophe. übersetzt von Birgit Lamerz-Beckschäfer, Stuttgart, Theiss Verlag, 2013, ISBN: 9783806227642
Bisher gibt es noch keine Kommentare