Die Graphic Novel ist ein starker Trend geworden – teils adaptiert sie literarische Stoffe, teils erschafft sie eigene Inhalte mit hohem Anspruch. Ich hab nicht viel Erfahrung mit der Gattung Graphic Novel, musste mir aber zumindest den Ausschnitt von „Stolz und Vorurteil“ ansehen, den der Galiani-Verlag in seiner Ausgabe des „Graphic Canon“ veröffentlicht hat.
Die Zeichnungen waren für mich erst mal etwas gewöhnungsbedürftig – diese ganzen miteinander streitenden Muster auf Kleidung und Wänden erinnerten mich zu sehr an die 70er … 😉 Die Graphikerin Huxley King beschreibt ihre Art der Arbeit gerade in dieser Hinsicht wie folgt:
Ich habe mich von der Leidenschaft der Georgianischen Periode für klassische griechische und römische Formen inspirieren lassen. In den Gesichtern der Figuren finden sich nicht zufällig Anleihen an griechische Statuen. (…) Das (die Bildmontagetechnik von Terrence Boyes, d. V.) machte es möglich, mehrere Schichten an Mustern übereinanderzulegen und sie z. B. für die Kleider der Mädchen zu verwenden. (S. 32)
Mary ist besonders deutlich zu erkennen mit ihrer strengen Frisur – bei einem „Portrait“ von ihr hält sie einen Band mit „Fordyces Predigten“ vors Gesicht, einer Sammlung von Texten, extra für junge Frauen geschrieben, also genau die Lektüre, die später Mr. Collins für empfehlenswert hält. Der hätte mich ja als Figur in einer Graphic Novel auch interessiert … Aber hier liegt nur ein Ausschnitt vor. Bei den anderen Schwestern muss ich schon genau hinschauen, um die Unterschiede in Kleidung und Frisur zu entdecken. Schön ist die Darstellung Mr. Bennets, als er seinen Besuch bei Bingley erklärt – Huxley King zeigt hier nur seine Hand, die seine Pfeife hält. Für mich strahlt das genau diese Ruhe aus, die er gegenüber den Ausbrüchen seiner Frau behält.
Der Aufbau der Seiten ist in dieser Graphic Novel oft sehr symmetrisch. So reagieren die Frauen des Hauses ja mit Erstaunen auf seine Eröffnung – dargestellt mit zwei angeschnittenen Ansichten von Frauengesichtern von vorn (Mrs. Bennet und Jane), dazwischen ein Bild mit Mr. Bennet zwischen zwei Gesichtern mit aufgerissenem Mund im Profil. Auch hübsch die Seite, wo das Bild mit Mrs. Bennets Reaktion quasi wie ein Portrait an der Wand schräg oberhalb von Mr. Bennet platziert ist, der gerade eine längere Rede hält. So eine Graphic Novel verlangt also nicht dem Lese-, sondern dem Sehvermögen was ab.
Genau dieses 2. Kapitel der Graphic Novel gibt es auch auf Youtube.
Huxley King und Terrence Boyce: Stolz und Vorurteil, Das 2. Kapitel, in: The Graphic Canon. Band 2: Von „Tristram Shandy“ über Jane Austen bis „Dorian Gray“, hg. von Russ Kick, Galiani-Verlag, 2015, ISBN: 978-3869710792
Das Buch findet sich auch in der Stadtbibliothek Köln.
Die Besprechung gehört in meine Reihe „beloved Jane“ zum 200. Todestag der Autorin im Sommer dieses Jahres.
PS: Das Einfügen des „Klassiker“-Rubrikenbildes hat mir jetzt richtig Spaß gemacht 😉
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