Die Lit.Cologne hat Sibylle Lewitscharoff nach ihrer Dresdener Rede am 2.3. nicht ausgeladen. Die Veranstalter haben die Rede und die Reaktionen darauf aber auch nicht übergangen. Gestern Abend hat Bettina Böttinger mit Frau Lewitscharoff über die Inhalte diskutiert. Fazit: Sibylle Lewitscharoff steht nach wie vor zu ihren Aussagen; das Einzige, was sie zurücknehmen würde, wäre der Begriff „Halbwesen“ – nicht weil er Menschen verletzt, oder das nur am Rande, sondern weil er nicht genau ausdrückte, was sie meint. Damit wäre dann auch der Gedanke vom Tisch, da sei irgendein Gaul mit der sprachbewusssten Autorin durchgegangen.
Ihre Vergleiche mit der Nazizeit – sowohl, was die vergleichsweise Harmlosigkeit der „Kopulationsheime“ ggenüber jeder Form künstlicher Befruchtung, als auch, was die von ihr postulierte Bewunderung der Frauenbewegung z. B. für Leni Riefenstahl betrifft – hat sie bekräftigt. Argumentationsgrundlage: Eigene Erfahrung.
Ich wäre zwischendurch auch gern gegangen, wie es viele getan haben, denn ich fand diese Frau da vorne mit ihren selbstsicher und überzeugt vorgetragenen Aussagen sehr erschreckend. Aber wir hatten beschlossen, dass wir das aushalten …
Genau wie Frau Böttinger hatte ich am Wochenende einen Radiobeitrag über und mit Sibylle Lewitscharoff gehört, in dem sie von ihren LSD-Erfahrungen zwischen ihrem 12. und 16. Lebensjahr berichtete. Ob diese Erlebnisse ihre Phantasie beeinflusst habe? Sicher – so die Antwort der Autorin. Beiläufig wies sie auch gelegentlich auf die Gefährlichkeit der Droge hin. Wie sie da rausgekommen sei? Nun, das Drogenmilieu habe ihr nicht entsprochen. Da sei niemand gewesen, der den Zauberberg oder Marcel Proust gelesen habe. Gerettet habe sie die Schule – sie seien in einer Mädchenschule eine sehr intellektuelle Klasse gewesen, witzig und belesen.
Nun habe ich von Frau Lewitscharoff noch nichts gelesen (deshalb ja die Tickets zu Lit.Cologne) – wie phantastisch ihre Erzählungen sind, kann ich deshalb nicht beurteilen. Ich habe dafür aber den Anfang ihres neuen Romans hören können – eines Krimis. Und hier, so Sibylle Lewitscharoff, habe sie sich der Form zu beugen gehabt, sich knapper fassen müssen. „Killmousky“ heißt er. Er erscheint im April. Nach der Lesung kann ich sagen: Ja, Sibylle Lewitscharoff formuliert sehr gut. Aber vom Hocker gerissen hat mich dieser Anfang nicht. Auch der kurze Abschnitt aus dem zweiten ihrer Pong-Bücher war in meinen Ohren jetzt nichts exzeptionell Tolles. Das kann daran liegen, dass mich der vorherige Wortwechsel hyperkritisch gemacht hat. Ich war jedenfalls nicht motiviert, mir ein Buch dieser Autorin am Büchertisch zu kaufen.
Auf der Rückfahrt haben wir dann diskutiert. Ich bin ja der Meinung, wenn sich jemand, der im öffentlichen Leben eine solche Stimme hat, zu einem umstrittenen Thema äußert, habe er sich auch mit den Fakten zu befassen, die aktuelle Situation im Auge zu behalten. Bei Sibylle Lewitscharoff hatte ich den Eindruck, dass dies nicht der Fall ist; als sie sage, das viele der künstlich gezeugten Menschen auf der Couch der Psychotherapueten landeten, rief jemand aus dem Publikum: „Belege!“ Frau Lewitschaoffs Antwort: Sie kenne viele Therapeuten, von denen habe sie das. Augrund ihre Biographie hat sie sich ein großes Wissen auf dem Gebiet angeeignet, Auslöser war der Selbstmord des Vaters, als sie 11 Jahre alt war. In meiner Begleitung bekam ich zu hören, natürlich habe auch eine Autorin das Recht, selbst abstruses Zeug zu äußern, wenn sie ihrer Meinung sagt. Und wer weiß, was Leserinnenund Leser alles zu hören bekämen, wenn Autorinnen und Autoren mal wirklich wie am Stammtisch vom Leder zögen.
Das ändert nichts an meiner Meinung, dass bei einem solch heiklen Thema Information über das Tatsächliche, über Fakten erste Bürgerpflicht ist, wenn ich mich dazu öffentlich äußere. Eine öffentliche Rede ist eben kein Stammtisch. Und wer sich ständig als „Intellektuelle“ darstellt, sollte diesen Anspruch dann auch erfüllen, sonst ist es nur Schaumschlägerei. Dazu gehört für mich … s. o.
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