Inhalt des Beitrags
Der Debutroman von Kerstin Campbel bietet wirklich gute Unterhaltung – auf ihren großen Recherchefehler komme ich am Ende noch mal zu sprechen.
Was erzählt Kerstin Campbell?
In gewisser Hinsicht eine Emanzipationsgeschichte. Georg wird eher gelebt, als dass er lebt. Zu Beginn des Romans wartet er darauf, dass seine Partnerin zurückkommt. Sie ist vor längerer Zeit gen Australien entschwunden. Wenn sich im Laufe der Zeit enthüllt, warum, ist mir unklar, wie er hoffen kann, sie könne zurückkehren wollen.
Georg ist Hausbesitzer, lebt selbst mit seinen Miter_innen in dem etwas renovierungsbedürftigen Haus. Sein fester Anker ist Frau Lemke. Sie kennt ihn, seit er als kleiner Junge immer seinen Opa hier besucht hat, hat ihn immer betüddelt – und tut das bis heute.
Nun soll sie nach New York gehen Ihr Sohn will sie dort haben. Doch – sie kann ja nicht weg. Ruthchen, ihre Katze, ist alt und würde den Umzug nicht überleben. Das muss Wolfgang verstehen.
Doch Ruthchen segnet zu früh das Zeitliche. Um nun seine mütterliche Freundin nicht zu verlieren, wendet Georg sich an einen Tierpräparator. Der soll das schlafenden Ruthchen schlafend erhalten. Der hat keine Zeit – seine Tochter übernimmt den Auftrag. Und damit beginnt ein unaufhaltsamer Ablauf, in dem Georg nicht anders kann, als sich zu verändern.
Insgesamt umfasst das Buch ein Jahr – mit einem großen, mehrere Monate umfassenden Sprung mittendrin. Auf jeden Fall wird Georgs Geburtstag am Ende ganz anders gefeiert als am Anfang!
Wie erzählt Kerstin Campbell?
Sie baut die Spannung durchaus gekonnt auf – denn so harmlos, wie sich der Inhalt abspult ist das Leben der Menschen in diesem Buch nicht. Schuld, Vernachlässigung, Verachtung und jede Menge Verletzungen kommen hoch. Das Ganze immer hübsch dosiert.
Der Stil von Kerstin Campbell ist gut lesbar. Die kleinen Perlchen an Gewitztheit und Ironie sind über das Buch vertreut und bieten immer mal wieder ein „Och, wie hübsch!“.
Meine größte Kritik am Buch …
Der Name Wolfgang fiel bereits – der Sohn von Frau Lemke. Und der „hat“ dann auf einmal die Vormundschaft über die alte Frau.
Sorry, so geht das nicht. Seit 1992 heißt es nicht mehr Vormundschaft, sondern Betreuung. Und bis das in Kraft treten kann, muss einiges passieren, u. a. Gutachten, die die Notwendigkeit belegen, einen Menschen seiner Selbstbestimmung zu berauben. Da kann niemand mal eben aus New York irgendwo anrufen und die Mutter unter Kuratel stellen.
Selbst wenn Wolfgang also Schritte eingeleitet haben sollte, könnte das für seine Mutter niemals überraschend kommen – eben weil für die Gutachten Besuche und Gespräche mit ihr notwendig sind.
Ehrlich gesagt, habe ich mich über diese fehlerhafte Darstellung sehr geärgert. Damit wird eine falsche Vorstellung dessen, was Betreuung ist, verstärkt. Das tut niemandem gut – weder denen, die Betreuungen übernehmen, noch denen, die betreut werden.
Kerstin Campbell: Ruthchen schläft, Kampa Verlag, Zürich 2021, ISBN: 9783311300052
Bisher gibt es noch keine Kommentare