Der Kästner-Biograf Sven Hanuschek hat in dem Band „Resignation ist kein Gesichtspunkt“ politische Reden und Feuilletons von Erich Kästner versammelt und zwar über Kästners gesamte Schaffensphase. Das erste Beispiel stammt von 1924 und trägt die Überschrift „Drama in Sachsen“. Der letzte Beitrag heißt „Über die Schulen meiner Kindheit … “ und ist 1970 in der Münchner Abendzeitung erschienen. Dazwischen hat Sven Hanuschek eine bunte Auswahl verschiedenster politischer Äußerungen Erich Kästners aufgereiht.
Wie politisch war Erich Kästner?
Mit einem Wort: sehr. Seine Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg – martialische Schikane durch Sergeant Waurich, die ihm eine Herzerkrankung einbrachte – haben ihn zu einem Gegner von Drill, Militär und Krieg gemacht. Erich Kästner war Pazifist durch und durch. Und er war ein Vertreter des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Marcel Reich-Ranicki hat in seinem Vorwort zu einem anderen Buch Kästner selbst zitiert, der meinte, dass Menschen besser werden können, „wenn man sie oft genug, beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht“. Diese Einstellung war die Grundlage seiner politischen Texte. Am bekanntesten ist natürlich sein Gedicht „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühen?“, das in keiner Antikriegs-Gedichtesammlung fehlt. Doch Kästner ging eben nicht nur ins Grundsätzliche, sondern auch ins Spezielle. Er schrieb anlassbezogen. Auch in seinen Zeitungsbeiträgen ohne Reim.
„Der Staat als Gouvernante“ ist ein Beispiel dafür, dass schon der junge Kästner dezidierte Vorstellungen davon hatte, was dem Staat gegenüber seinen Bürgern und Bürgerinnen zustehe und was nicht. Das Verbot eines künstlerisch wertvollen Films gehörte seiner Meinung nach nicht dazu. Es kam auch der Humor nicht zu kurz, auch in Zeiten, die alles andere als humorig waren. So ersann n Kästner in Zusammenarbeit mit dem Zeichner Martin Koser ein „Reichstags-Rommé “ mit dem Untertitel „Jeder sein eigener Diktator “. Darin finden sich so unterschiedliche Figuren wie Adolf Hitler, Hermann Müller oder Ernst Thälmann. Der Reim zu letzterem lautet „In Russland sitzt die große Sphinx. / Die Kommunisten sitzen links.“ Die Spielregeln liefert Erich Kästner dann auch noch nach. Besonders leicht waren die nicht – da der Realität der späten Weimarer Republik nachgebildet. Es sollten – mögliche! – Regierungen gebildet werden …
Es folgten die zwölf Nazi-Jahre.
Erst nach 1945 schrieb Kästner wieder dezidiert politisch. Dazu gehören seine Beobachtungen aus dem Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, Äußerungen zu einem drohenden Schmutz- und Schundgesetz, Argumente gegen den Krieg in Vietnam und, für Kästner besonders schmerzlich, über das Verbrennen von Büchern. Ja, das war nach 1945, genauer gesagt 1965, noch einmal Thema. Und wieder waren Kästners Bücher dabei.
Den Titel der Sammlung hat Sven Hanuschek einer Rede von 1953 entnommen, die Kästner zur Eröffnung eine Ausstellung von Kinderbildern aus Israel in der Internationalen Jugendbibliothek in München gehalten hat. Diesem Programm wider die Resignation wird schon diese Rede von 1953 nicht mehr ganz gerecht; je älter Erich Kästner wurde, desto mehr resignierte er.
Wie schrieb der politische Kästner?
Prägnant, präzise, auf den Punkt. Und meinungsstark. In einem kurzen Beitrag von 1947 mit der Überschrift „Scharf eingestellt“ beginnt Kästner:
Wenn nichts auf der Welt Fortschritte gemacht hat – die Armut hat es getan. Wer früher als arm galt und das wenige noch besitzt, was er einst besaß, ist nun reich. (…) Solange es Flüchtlinge gibt, die mit ihren Kindern auf dem Fußboden eines ausrangierten Viehwagens schlafen, sind leere Betten in Rumpelkammern eine Schande.
S. 105
1965 erschien der Beitrag „Lesestoff, Zündstoff, Brennstoff“, der folgendermaßen beginnt:
Anfang Oktober hat in Düsseldorf eine Jugendgruppe des „Bundes Entschiedener Christen“, wohlversehen mit Gitarrenbegleitung, einem evangelischen Pressefotografen und zwei etwa dreißgjährigen Diakonissen, am Ufer des Rheins Bücher verbrannt. Unter Absingen frommer Lieder. Mit Genehmigung des Amtes für öffentliche Ordnung. Und, wie dergleichen zu geschehen pflegt: spontan.
S. 166
Erich Kästner ist also auch als politischer Autor des Lesens wert.
Erich Kästner: Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons, hrsg. von Sven Hanuschek, Atrium Verlag, Zürich, 2023, ISBN: 9783855351336
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