Rendezvous mit einem Oktopus von Sy Montgomery

Rendezvous mit einem Oktopus von Sy Montgomery

Nein, nein, mit einem einzigen Oktopus gibt sich Sy Montgomery in diesem Buch nicht zufrieden. Im Original heißt es „The Soul of an Octopus“, was hier in den langen Untertitel rutscht – leider etwas verschwommen: „Extrem schlau und unglaublich empfindsam: Das erstaunliche Seelenleben der Kraken“. – Nun ja.

Das Anliegen der Autorin ist dagegen klar und revolutionär.

Worum geht es Sy Montgomery also?

Sie will herausfinden, ob Kraken, eine Seele, ein Bewusstsein, Gefühle haben.

Das ist ziemlich viel, wenn man bedenkt, dass diese Zuschreibungen einem Tier ohne Rückgrat, bzw. Knochen gelten – einem ähnlichen Wesen wie Schnecken oder Muscheln.

Doch an Kraken ist mehr – das wissen alle, die schon mal im Fernsehen eine Doku über diese Tiere gesehen haben.

Sei es in freier Wildbahn, sei es in Gefangenschaft: Kraken sind sehr intelligent. Man weiß inzwischen eine Menge über die Funktionsweisen ihrer Arme und Beine, ihre Tarnkünste und anderes mehr.

Sy Montgomery beginnt ihre Reise zur Seele der Kraken im Aquarium in Boston. Dort lernt sie Athena kennen, ihres Zeichens Pazifischer Riesenkrake.

Was macht Kraken aus?

Sy Montgomery führt gleich zu Beginn einiges Wissenswerte aus:

  • sie sind giftig
  • sie besitzen einen Schnabel (den man in der Regel nicht zu sehen bekommt)
  • sie haben verschiedene Möglichkeiten der Farbveränderung
  • sie sind groß und schwer (bis zu mehreren hundert Kilo!) und kommen trotzdem durch kleine Öffnungen
  • ihr Geschmackssinn und ihre Hebekraft liegen in den Saugnäpfen

Gerade Riesenkranken haben in Film oft einen Auftritt als Ungeheuer – sie gelten als beängstigend.

Doch Sy Montgomerys Erfahrung ist ganz anders. Sie fasst ins Wasser – und dann:

Im Nu sind meine beiden Hände und Unterarme umschlungen von Dutzenden weicher, mich abtastender Saugnäpfe.“

S. 13

Wie einen – tausendfältigen – Kuss beschreibt sie eine Seite weiter das Empfinden der Saugnäpfe auf ihrer Haut.

Im Laufe der Zeit lernt sie Athena beseer kennen – muss aber auch von ihr Abschied nehmen, denn Riesenkraken werden nur ca. drei Jahre alt. Sie lernt weitere Vertreterinnen der Gattung kennen und schätzen:

  • Octavia
  • Kali
  • Karma

Was genau erzählt Sy Montgomery?

Sie schildert ihre Erfahrungen mit den Tieren – und die der anderen, die mit ihnen zu tun haben: Pfleger, Forschende, Freiwillige im Aquarium. Sie erzählt vom Aquarium als Einrichtung, von vielen anderen Tieren dort, von den Menschen, die dort fest angestellt oder als Freiwillige arbeiten. Und sie schildert ihre Tauchausbildung und den Kontakt mit Kraken im Meer.

Dabei sind ihre Beobachtungen sehr genau, so dass ich ihre Eindrücke nachvollziehen kann.

Ein Kind mit roter Kleidung steht vor einem roten Riesenkraken im Aquarium und bestaunt die Saugnäpfe.
Ähnliche Szenen gibt es auch im Aquarium von Boston, von denen Sy Montgomery erzählt. LASZLO ILYES from Cleveland, Ohio, USA, Meet Fifi (4788859234), CC BY 2.0

Dabei wechselen sich die erzählenden Passagen locker mit eingestreuten Wissenshappen ab; immer wieder lässt sie ihr umfangreiches Wissen – und das anderer Oktopus-Liebhaber_innen und -Fachleute – einfließen. Sie erzählt sehr persönlich und anschaulich. Ihr Staunen ist spürbar, ebenso ihre Freude und ihre Trauer. Als Octavia gegen Ende ihres Lebens richtiggehend Abschied nimmt, ist da sehr berührend.

Und? Haben Kraken eine Seele?

Sy Montgomery ist davon überzeugt. Und nach allem, was sie so schildert, glaub ich ihr das.

Das Buch war mir eine echte Freude.

Ich hatte es schon 20187 auf dem Schirm, als es im Mare-Verlag erschien – ich hatte die Leseprobe zu Hause – und bin sehr froh, die Taschenbuchausgabe aus dem Diogenes-Verlag erworben und gelesen zu haben.

Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus, übersetzt von Heide Sommer, mit einem Nachwort von Donna Leon, Diogenes Verlag, Zürich, 2017, ISBN: 9783257244533

Die Stadtbibliothek Köln hat den Titel als E-Hörbuch, als E-Book und als Hardcover-Titel (mare-Verlag) im Bestand.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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