Rabenthron von Rebecca Gablé

Rabenthron von Rebecca Gablé

Ganz erschließt sich mir der Titel „Rabenthron“ nicht – der Rabe ist das Wappentier des dänischen Widersachers Knud, der König Edmund von England besiegt. Er wird König von England – sitzt er dann auf dem Rabenthron? Quasi unter Mitnahme seines Wappentiers ins neue Herrschaftsgebiet? Erscheint mir die sinnvollste Erklärung.

Ein bisschen historische Einordnung

Der Roman spielt in einer Zeit mit vielen Königen – gerade in England:

  • Ehtelred, der Unberatene, Emmas erster Gemahl, dem sie in tiefer Verachtung und ebenso großem Abscheu verbunden ist
  • sein Sohn Edmund aus erster Ehe
  • Knud, im Laufe des Buches König von Dänemark, England und Norwegen
  • Harold Hasenfuß, sein zweiter Sohn aus der Ehe mit Ælfgifu, seiner ersten Frau, die auch seine Frau bleibt, als er Emma ehelicht – das geht bei den Dänen
  • Hardeknud, der Sohn aus Emmas Ehe mit Knud
  • Edward, der älteste Sohn Emmas aus der Ehe mit Ethelred

Dass Emmas Name so oft auftaucht, hat seinen Grund: Sie ist die Figur, um die sich die Geschichte ausbildet. Sie stammt aus der Normandie, ist Tochter und Schwester des dortigen Herzogs und wird mit 14 Jahren an Ethelred verheiratet. Sie hat Gründe, ihn nicht zu mögen. Bringt in dieser Ehe drei Kinder zur Welt und später noch einmal zwei in der Ehe mit Knud. Erbauseinandersetzungen liegen in der Luft.

Mittelalterliche Buchmalerei die Ælfgifu (Emma) und Canute (Knud) neben einem farbig gezeichneten Kreuz zeigen, umschwebt von Engeln
Eine Darstellung von Knud und Emma in einem Messbuch – hier trägt sie den Namen Ælfgifu; aber es gab tatsächlich zwei Ehefrauen Knuds mit diesem Namen.

Rebecca Gablé bittet im Nachwort um Entschuldigung für die vielen ähnlich klingenden Namen, die dann teils auch noch die sperrige Buchstabenkombination „Æ“ aufweisen. Ich habe zu Beginn tatsächlich auf mein absolutes Lieblingsbuch der Autorin zurückgegriffen – „Von Ratlosen und Löwenherzen“ – denn in der Umschlaginnenseite verbirgt sich ein Stammbaum der englischen Könige im Mittelalter. Das hat geholfen. Außerdem hat die Autorin einigen Figuren das einfacher zu lesende „E“ an den Anfang gestellt. Danke dafür! Ehrlich – das Æ ist einfach sperrig.

Was erzählt Rebecca Gablé in „Rabenthron“?

Einerseits die Geschichte Emmas, ja. Aber als Roman muss eine fiktive Reihe von Figuren her und das ist die Familie der Helmsbys:

  • Es gibt unterschiedliche Zweige, die sich nicht grün sind; hier Ælfric von Helmsby und sein Sohn Penda gegen seinen Onkel Dunstan und dessen Sohn Offa, Ælfrics gleichaltrigem Cousin (der Konflikt ist programmiert, nicht wahr?) (Ja, um die Helmsbys gibt es ebenfalls bereits zwei Bücher der Autorin, die später angesiedelt sind: „Das zweite Königreich“ und „Hiobs Brüder“)
  • Ælfric und Penda könnten auch Waringham heißen, denn sie weisen charakterliche Eigenschaften auf, die die Waringhams auch immer auszeichnen: Loyalität und Treue, Wahrheitsliebe, auch auf eigene Kosten, Klugheit und politisches Geschick, Freundlichkeit gegenüber Schwächeren. Zudem hat Papa Ælfric eine Fähigkeit, die glatt eine Karl-May-Lektüre der Autorin vermuten lässt …
  • Es gibt eine Freundesgruppe, die die Jahrzehnte miteinander durchlebt – nur finden sich Eilmer von Malmesbury, Ælfric und Penda von Helmsby und Hakon Gunnarsson auf eher ungewöhnliche Weise zusammen. Sie sind dann aber die Leibwache und Ratgeber für Emma. Über die ganze abgedeckte Zeit des Buchs. Das sind sie auch für ihre Kinder. Penda begleitet Edward, Godgifu (die Tochter) und Alfred, die Kinder Emmas und Ethelreds ins zweite Exil, das dann ein bisschen länger dauert, so um die zwei Dekaden …

Dann gibt es noch historische Persönlichkeiten, die teils eher unrühmliche Rollen spielen

  • Edric der Raffer, als besonders abgefeimter Ratgeber Ethelreds
  • Godwin Wolfnothsson, Earl of Wessex, der die Seiten schneller wechselt, als man gucken kann
  • Richard III von der Normandie – kein angenehmer Verwandter für Emmas Kinder

Im Großen und Ganzen läuft der Roman in bewährter Manier – auf Phasen von Gefahr und Aufregung folgen ruhige Etappen. Doch ganz so brutal wie mit den Waringhams geht Rebecca Gablé mit den Helmsbys nicht um. Auch nicht zimperlich – das wäre auch nicht der Zeit angemessen, die in vielem grausam war.

Die Zeitläufte, in denen der Roman spielt, sorgen auch ohne allzu viel fiktive Auseinandersetzungen für Spannungsbögen. Rebecca Gablé versucht wieder, ihre Leser*innen ins Geschehen zu holen, indem sie Innenansichten präsentiert.

Die Sprache?

Der Stil von Rebecca Gablé ist einfach leicht und flüssig zu lesen – bis auf die „ Æ“s natürlich. Eine Szene hat mich sehr gefreut – da grüßte das 21. ins 11. Jahrhundert. Harold Hasenfuß ruft da in einer Auseinandersetzung seiner – wirklich nervtötenden – Mutter Ælfgifu ein „Halt. Die. Klappe.“ zu. Übrigens wendet sich Knud besagter Ælfgifu an einer Stelle mit denselben Worten zu – aber ruhiger: „Hat die Klappe.“ Es war wohl nötig.

Ansonsten gilt, was ich immer sage, wenn es um historische Romane von Rebecca Gablé geht: Es macht Spaß, sie zu lesen. Die Frau beherrscht ihr Handwerk.

Ein paar Kritikpunkte

Es mag eine Petitesse sein – aber bitte, können wir auf Farbschnitte verzichten? Es ist mein erster Titel mit diesem Schmuckelement und ich kann nicht sagen, dass es mir gefallen hat (auch wenn meine Buchhändlerinnen einstimmig sagen, es sei ein hübscher Farbschnitt …) Okay, das ist wirklich reine Geschmackssache.

Liebe Rebecca Gablé, in Sachen Sexszenen waren wir schon mal weiter – hier wird nun wieder gepflügt

Eine Diskrepanz hat mich, bei aller Lesefreude, die ich hatte, irritiert: Emma ist die historische Hauptfigur. Es gibt auch Szenen mit ihrer Innensicht. Doch was vor allem vorherrscht, ist der Blick von Männern auf Frauen. Natürlich ist es bei einer historischen Figur schwierig – obwohl Emma, wie Rebecca Gablé im Nachwort berichtet, für ihr eigenes Nachleben mit dem Auftrag einer „Biographie“ sorgte – eine weibliche Sicht zu installieren. Doch z. B. in „Palast der Meere“ gibt es neben der männlichen Hauptfigur aus dem Waringham-Clan auch eine Frau der Familie, die die eine Hälfte des Romans bestimmt. Ja, es gibt auch das Lob männlicher Attraktivität – aber von „anbetungswürdigen Hinterteilen“ ist da weniger die Rede … Vielleicht bin ich inzwischen zu alt, um den auch bei Frauen internalisierten männlichen Blick auf weibliche Körper einfach so hinzunehmen. Ich denke, es hätte eine Möglichkeit bestanden, dem weiblichen Blick in einer Geschichte um eine Königin des 11. Jahrhunderts mehr Raum zu geben; warum nicht den Blick Edlynns of Crompton, der Frau Ælfrics stärker berücksichtigen? Oder ihrer Schwester – einer durchaus eigenwilligen Frau?

Rebecca Gablé. Rabenthron, Bastei Lübbe, Köln, 2025, ISBN: 9783757701307

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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