Inhalt des Beitrags
Der Untertitel des ersten Romans um Miss Mount von Gilbert Adair wird etwas konkreter: „Miss Mount und der Mord im Herrenhaus“.
Was erzählt Gilbert Adair?
Eine Häkelkrimi à la Christie – und zwar ziemlich authentisch wirkend. Dabei ist das Buch von 2006.
Im Herrenhaus von Colonel ffolkes wird am zweiten Weihnachtstag 1935 ein ungebetener Gast in einer Dachkammer tot aufgefunden. In einem von innen verschlossenen Raum mit Gittern an den Fenstenr. Locked Room Mystery, yeah!
Natürlich tobt draußen ein Schneesturm übers Land, die Telefonleitungen sind unterbrochen – die kleine Hausgemeinschaft ist von der Außenwelt abgeschnitten und auf sich gestellt. Bis dem Butler einfällt, dass nicht weit entfernt ein pensionierter Scotland-Yard-Beamter lebt. Der wird rangekarrt, klärt, dass er nichts Offizielles machen kann und regt eine Befragung aller an. Ein Gast ist die Kriminalschiftstellerin Miss Mount und die schlägt vor, dass alle zusammen sitzen, wenn die Befragung erfolgt.
So wird’s gemacht und in der Bibliothek des Herrenhauses kommen die Sünden und Lügen der Menschen zu Tage, die einfach Weihnachten miteinander feiern wollten – hier das Tableau:
- das Gastgeberpaar ffolkes
- der Pfarrer und seine Frau
- der Arzt und seine Frau
- der Sekretär des Colonels
- die Krimiautorin
- die Schauspielerin
- die Tochter der ffolkes
- ihr amerikanischer Verehrer
- ein Freund von ihr mit unangenehmem Charakter – das Opfer (gut, der wird nun nicht mehr befragt; es gibt aber trotzdem jede Menge Informationen über ihn)
In der geplanten ersten Runde kommen nicht alle zu Wort. Aber: Sie alle haben was zu verbergen – und der inzwischen tote junge Mann weiß von allen, was sie verbergen wollen und hat das am Tag zuvor aufs Unangenehmste spüren lassen. Außer der Tochter des Hauses hat niemand eine Träne um ihn vergossen.
Zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck, es ginge Gilbert Adair mehr um die zeitgenössischen Sünden – die Zeit vom ersten Weltkrieg eingschlossen -, als um den Mord an dem Klatschkolumnisten.
Die Auflösung ist nicht ganz überraschend – vor allem, wenn man den englischen Originaltitel „The Act of Roger Murgatroyd“ mit berücksichtigt -, aber Gilbert Adair hat da schon einen ungewöhnlichen Schlenker eingebaut.
Wie erzählt Glbert Adair?
Durchaus flüssig – mit einigen sprachwitzigen Einfällen; ein paar Beipiele:
Tatsächlich ist er nach dem was Cynthia erzählt, so zerstreut, dass seine Geduld ungefähr das Einzige ist, was er nie verliert.
S. 64
„Sicher“, antwortete sie, und ein winziger Rauchring schwebte über ihrem Kopf wie ein Heillgenschein auf der Suche nach einem Heiligen.
S.121
Ich hatte also tatsächlich Spaß – bis auf ein paar Haken, zu denen ich gleich noch komme.
Ich habe, nachdem ich die Auflösung kapiert habe, den Text nicht noch einmal gelesen, bin mir aber sicher, dass die Erzählhaltung diese Auflösung im Großen und Ganzen unterstützt.
Die Haken am Buch – für mich
Da hab ich welche auf zwei Ebenen gefunden
Ein paar Fragen an den Verlag:
Wer hat sich den Titel ausgedacht? Es wird Assoziationen gegeben haben, die ihn sinnvoll erscheinen lassen. Vielleicht ist ein häufig genutzter Ausruf im Original dieses „Oh dear!“ in verschiedenen Abstufungen – das ist aber im Deutschen nicht so nachvollziehbar. Oder erst sehr im Nachhinein. Die Ausgabe, die es 2006 in derselben Übersetzung gab – „Mord auf ffolkes Manor“ -, ist vielleicht nicht originell, aber in meinen Augen weniger ärgerlich.
Und wenn jemand Klappentexte schreibt, sollten darin keine grundlegenden Fehler sein. Miss Mount ist eben genau keine Spezialistin für Locked-Room-Mysteries – das steht direkt auf der ersten Seite im vierten Absatz. Und findet sich trotzdem als Aussage im Klappentext: „Miss Mount (…) ihre Spezialität locked-room-mysteries“.
Solche Fehler müssen nicht …
Fragwürdiges im Buch
Gilbert Adair bemüht sich sehr, die Atmosphäre der Mittdreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts unkommentiert aufleben zu lassen. Das funktioniert auch gut.
Doch als Leserin des 21. Jahrhunderts habe ich bei einem Buch, das ebenfalls aus dem 21. Jahrhundert stammt, Probleme mit der unkritischen Übernahme rassistischer und antisemitischer Vorurteile dieser Zeit. Sie kommen nicht nur in den Erzählungen während der Gruppenbefragung zum Tragen, sondern auch im Erzähltext selber. Ja, auch der ist der damaligen Zeit verhaftet, völlig klar. Aber es wäre ohne Verlust von Atmosphäre und ohne die eigentliche Handlung zu verändern einfach auch ohne gegangen. Punkt.
Und nein, ich zitiere hier nicht, weil ich solche Begriffe und Ansichten nicht im WWW auffindbar machen will. Albern vielleicht, okay, aber mein Beitrag.
Witzig ist dann, dass an einer Stelle das 21. Jahrhundert dann doch um die Ecke lugt – im deutschen Text steht da „Whiteboard“, S. 212. Ich weiß nicht, was da im Original steht, aber entweder hat hier Gilbert Adair oder Jochen Schimmang gepennt. In meinem dicken Englisch-Wörterbuch aus den 20ern des letzten Jahrhunderts kommt das Wort jedenfalls nicht vor …
Gilbert Adair: Oh Dear! Miss Mount und der Mord im Herrenhaus, übersetzt von Jochen Schimmang, Kampa Verlag, Zürich, 2021, ISBN: 9783311300182
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