Was für einen Schmöker hat Olaf Schmidt da bloß vorgelegt! Ich völlig hin und weg – die fast 600 Seiten habe ich im gerade mal zwei Tagen verschlungen.
Was erzählt Olaf Schmidt?
„Das abenteuerliche Leben von Johann Jacob Bach“ – dem älteren Bruder von Johann Sebastian Bach –, von dessen Leben man so gut wie nichts weiß. Das bisschen, das bekannt ist, bietet eine hervorragende Grundlage für eine Romanfigur. Über seine Erlebnisse als junger Musiker in Sachsen oder als Hofoboist von Karl XII von Schweden gibt es nur wenige Angaben. Doch die Zeitläufte legen ein abwechslungsreiches, ja abenteuerliches Leben nahe. Schließlich herrschte damals Krieg. Der Große Nordische Krieg dauerte rund 20 Jahre und Johann Jacob Bach war, nach allem was wir wissen, mittendrin. Außerdem verschlug es ihn bis Konstantinopel – einen sehr fremden Ort der damaligen Zeit.
Neben den Erlebnissen von Johann Jacob Bach spielt auch das Leben von Karl XII von Schweden eine große Rolle. Auch die politischen, diplomatischen und kriegerischen Verwicklungen mit all dem Personal, das darin involviert war, findet sich im Roman von Olaf Schmidt.
Die Geschichte beginnt mit dem Tod des Vaters von Johann Jacob und Johann Sebastian Bach, die nach dem Zusammenbruch der Familie bei ihrem älteren Bruder in Ohrdruf unterkommen. Johann Jacob beginnt mit 14 Jahren eine Ausbildung beim Nachfolger seines Vaters in Eisenach. Dort macht er die Bekanntschaft eines weitläufigen Schotten, der ihn in den Künsten des Traversflöte-Spielens, des Reitens und Fechtens unterweist und ihm beim Abschied seine beiden Flöten überlässt. Johann Jacob zieht nun als Musiker über Land und erlebt schon in Sachsen einiges an Abenteuern. Auch musikalische Abenteuer gehören dazu. In Leipzig trifft er seinen schottischen Mentor wieder und landet in der Kapelle des schwedischen Königs Karl XII. Mit dessen Heer zieht er in den Krieg, erlebt Entbehrungen, Tod und Hunger, bis es den König und eine Schar seiner Getreuen auf der Flucht vor den Russen nach Konstantinopel verschlägt.

Da Karl XII ja auch eine wichtige Figur ist, gibt es zwischendurch einige Abschnitte mit der Überschrift „Welthistorisches Intermezzo“. Hier führt Olaf Schmidt mich als Leserin in die Konfliktlinien des Großen Nordischen Krieges ein; beteiligt ist neben Sachsen, Schweden und Russland auch Polen. Politiker, Militärs und Diplomaten treten in bunter Reihenfolge auf; da hab ich mir manchmal ein Personenregister gewünscht.
Ein anderer wichtiger Themenkomplex ist die Religion. Die Datumsangaben einiger Kapitel orientieren sich an den Bezeichnungen des Kirchenjahres: Sonntag Invocavit, Pfingstdienstag oder 16. Sonntag nach Trinitatis. Doch noch bedeutender sind die Debatten der Figuren rund um theologische Fragen: Hat Jesus gelacht? Was ist das für ein Gott, der solches Leid zulässt? Besonders die zweite Frage kommt immer wieder auf und die Antworten darauf variieren je nach Figur, doch die Glaubensgewissheit, die wir mit dem Barockzeitalter verbinden, stellt Olaf Schmidt hier deutlich infrage.
Wie erzählt Olaf Schmidt?
Am Anfang eines Abschnitts geht er ins Detail, nimmt mich mit in eine Szene, um danach erst die Einordnung in einen größeren Zusammenhang zu liefern. So erleben wir die Nacht im Gasthaus hautnah mit:
Poltern, ein Knirschen, etwas zerbarst – ein betrunkener Fluch. Im trüben Morgenlicht sah Jacob, wie Theophilus Lessing auf sein Lager fiel. Der Schulmeister schlief auf der Stelle ein und wälzte sich schnarchend auf dem Stroh herum.
S. 218
Erst danach erzählt Olaf Schmidt, wie das mit der Übernachtungsmöglichkeit in Leipzig war.
Überhaupt hat Olaf Schmidt ein Faible für anschauliche, detailreiche Schilderungen. So habe ich als Dilettantin der Traversflöte sehr viel Freude daran gehabt, wie er die Schwierigkeiten beim Spielen dieses wunderbaren, damals noch recht neuen, Instruments schildert:
Die Intonation der neuen Querflöte erforderte viel Übung, die Halbtöne waren, vom Dis abgesehen, zwar möglich, aber mussten mit komplizierten Gabelgriffen bewerkstelligt werden. Die Flöte ließ sich nicht von jedem ihrem Wohlklang entlocken, sie zierte sich, wollte umworben werden.
S. 85
Na, wenn das so schwer ist, ist es ja keine Schande, dass ich es nicht weit damit gebracht habe. 😉

Meiner Begeisterung für das Buch habe ich ja oben schon Ausdruck verliehen – ich hoffe, Sie können es jetzt ein bisschen nachvollziehen. Was mich besonders freut, ist, dass Olaf Schmidt sich bereit erklärt hat, einige meiner Fragen zu beantworten. Das Interview mit ihm erscheint in den nächsten Tagen hier.
Olaf Schmidt: Der Oboist des Königs. Das abenteuerliche Leben des Johann Jacob Bach, Galiani Verlag, Berlin, 2019, ISBN:97838697115850
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