Inhalt des Beitrags
Dodie Smith hat einen Sommerroman geschrieben, den die BBC 2019 zu den 100 besten zählte. Im Zusammenhang mit dem Roman ist auch von „einflussreich“ die Rede. Ich gestehe: Ich hatte den Namen der Autorin oder den Titel des Romans noch nie gehört, bis ich sie in der Verlagsvorschau von Kampa fand und bei der Beschreibung dachte: Das klingt nett. Sommerroman eben. Ja, das ist es auch. Aber eben „auch“.
Was erzählt Dodie Smith?
Die Geschichte ist relativ simpel:
In ihrem Tagebuch schildert Cassandra Mortmain von dem, was in diesem Sommer Anfang der 30er Jahre passiert. Ihre Familie lebt verarmt auf einem gepachteten Schloss. Cassandra schildert in Rückblicken, wie das mit dem Schloss begann. Sie bescheibt ihr Zusammenleben mit einem Vater, der sich mit seiner Schreibblockade im Pförtnerhaus verschanzt, mit der älteren Schwester Rose, die die Armut nicht mehr aushalten mag, mit der schönen jungen Stiefmutter, die früher Geld als Künstlermodell verdiente und sich nun um den Haushalt verdient macht, mit dem jüngeren Bruder Thomas und Stephen, der irgendwie zur Familie gehört oder auch nicht und Cassandra verehrt.
Nicht sehr idyllisch.
Mitten in diese Ausgangslage platzen zwei junge Amerikaner. Einer von ihnen hat vom Großvater den Besitz geerbt, zu dem auch das Schloss gehört.
Anstatt nun auf Zahlung der Pacht zu bestehen, freut er sich, in Cassandras Vater einen großen Schriftsteller persönlich kennenzulernen, mit dessen Werk er sich ausführlich beschäftigt hat. Die Familie Mortmain kann ohne Pachtzahlungen weiter wohnen, die jungen Männer – Simon und Neil – verkehren gern im Schloss, laden ihrerseits ins Herrenhaus ein. Es entwickeln sich zarte Bande, die in eine Verlobung münden. Doch damit beginnen natürlich die Schwierigkeiten erst.
Dodie Smith lebte, als sie das Buch verfasste im Exil in den USA und hatte Sehnsucht nach „merry old England“ – ihre Schilderung des Landlebens, vom Dorf mit Lehrerin und Pfarrer, kleinem Gasthaus und singenden Kindern, atmet schon seeeehr viel Idylle und Nostalgie.
Aber da gibt es eine andere Schicht in dem Buch, die mich sehr fasziniert.
Ein Buch übers Schreiben
Sie kennen die Passage in „Pünktchen und Anton“, wo Erich Kästner beschreibt wie seine Mutter in einem Roman erst mal ein bisschen vorblättert, den Schluss liest und erst dann das Buch in Ruhe zu Ende lesen kann? Ohne diese Stelle wäre ich als Kind nie, nie, nie auf den Gedanken gekommen, man könnte vorblättern! Im Falle dieses Buches habe ich es gemacht. Und festgestellt, dass der offene Schluss, den Dodie Smith da anbietet, gleichzeitig einen ganz anderen Schwerpunkt setzt als die mehr oder weniger verunglückten Liebesgeschichten zwischen fünf jungen Menschen.
Es geht ums Schreiben.
Um Kreativität. Um die eigene Stimme beim Schreiben.
Cassandras Vater hat zwölf Jahre vor Beginn der Handlung einen modernen Roman geschrieben, in dem sich unterschiedlicheste Elemente mischen. Seit er wegen eines Angriffs mit einem Tortenmesser im Gefängnis saß, hat er nichts mehr geschrieben. Simon, der Erbe aus Amerika, unterhält sich mit ihm über sein Buch, zeigt ihm Rezensionen aus amerikansichen Literaturzeitschriften. Seine Mutter, eine belesene und künstlerisch interessierte Frau, will Mortmain, wie er auch von seiner Frau genannt wird, animieren, etwas Neues zu schreiben. Seine Art des Schreibens ist gar nicht „erzählend“- so viel wird deutlich. Dodie Smith lässt hier Gedanken an die Moderne ihrer Zeit in der Literatur aufscheinen. Überhaupt referiert „I capture the castle“ – so der Originaltitel – auf sehr sehr viel Literatur – explizit (Jane Austen, die Brontës) wie auch implizit.
Die andere Person mit Ambition zum Schreiben ist natürlich Cassandra – in ihrem Tagebuch übt sie sich; sie will lernen Spannung aufzubauen; sie reflektiert über ihren eigenen Ton, ihre Stimme. Und über ihre Rolle als demnächst junge Frau (sie ist zu Beginn 17 Jahre jung), die ihren Platz in der Gesellschaft finden muss – und als Autorin finden will.
Im Original heißt das Buch von Dodie Smith wie bereits erwähnt „I capture the castle“ – also „ich begreife/erfasse“ bis hin zu ich „Ich erobere das Schloss“. Für mich wird da schon deutlich, dass die Intention der Autorin – huhu, Deutschaufsatz! – über eine leichte Sommergeschichte hinausgeht.
Wie schreibt Dodie Smith
Sie schafft es, diese Tagebucheintragungen wirklich wie – ambitionierte – Tagebucheintragungen wirken zu lassen und trotzdem eine Geschichte zu erzählen, der ich mit allen Rückblicken und Meditationen übers Schreiben gut und gern folgen kann. Die Entwicklung Cassandras lässt sich an ihren sich wandelnden Intentionen fürs Tagebuch ablesen. Sie schreibt in einer codierten Form – eine Art Schnellschrift, die außer ihr niemand lesen kann – und unter anderem so vermittelt Dodie Smith die Unmittelbarkeit der Empfindungen und Beobachtungen von Cassandra.
Zum Tagebuchstil gehört auch, dass Cassandra beobachtet – ihre Familie, die neuen Bekannten aus den USA, die Natur und sich selbst. Das tut sie sehr differenziert- ich mag die Naturschilderungen sehr.
Ja, der erste Roman von Dodie Smith – sie hatte bis dahin nur Theaterstücke geschrieben – ist ein „Sommerroman“, aber er bietet eindeutig mehr!
Dodie Smith: Nur der Sommer zwischen uns, übersetzt von Stefanie Mierswa, Kampa Verlag, Zürich, 2021, ISBN: 9783311300151
Wissenschaftliche Aufsätze rund um das Buch von Dodie Smith
Nein, ich hab die nicht alle vollständig gelesen, aber meine Eindruck vom „Mehr“ in diesem Roman bestätigt bekommen. Wer also Lust hat, sich literaturwissenschaftlich mit dem Buch zu befassen, kann mit diesen englischsprachigen Aufsätzen beginnen:
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