Nur der Mond war Zeuge von Josephine Tey

Nur der Mond war Zeuge von Josephine Tey

Die Eingangsszene in den Krimi  von  Josephine Tey könnte nicht idyllischer sein: Der Anwalt Robert Blair meditiert über die Kekse, die in regelmäßiger Abwechslung zu seinem Nachmittagstee auf dem Tablett liegen.

Doch so idyllisch bleibt es nicht …

Was erzählt Josephine Tey?

Wie ein Provinzanwalt sich auf einmal in Ermittlungstätigkeiten übt. Denn in seinem Örtchen Milford werden zwei Frauen – Mutter und Tochter – von einem jungen Mädchen beschuldigt. Sie sollen die junge Frau – manche denken auch „das Kind“ – in ihrem Haus festgehalten und zu Hausarbeit gezwungen haben. Mittel der Wahl: Schläge.

Der Hintergrund: Die Fünfzehnjährige kommt mit Verspätung aus den Ferien zu ihren Pflegeeltern zurück und weist Spuren brutaler Misshandlung auf. Nach ihrer Aussage sind Marion Sharpe und ihre Mutter ihre Entführerinnen.

Die beiden Frauen leben außerhalb von Milford in einem abgelegenen etwas heruntergekommenen, ummauerten Herrenhaus, zu dem nur ein einziger Zuweg führt.

Aler grüner Doppeödeckerbus aus England für den Krimi von Josephine Tey
Die örtlichen Buslienien spielen eine maßgebliche Rolle „Leyland Titan“ by Leonard Bentley is licensed with CC BY-SA 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Sie bitten den Anwalt um Unterstützung, als plötzlich Scotland Yard mit den Behauptungen des Mädchens bei ihnen aufkreuzt. Bei einer Hausbegehung überprüfen alle miteinander die Aussagen, die das Mädchen zu Protokoll gegeben hat: Die Treppe, die im unteren Bereich Teppich aufweist und weiter oben nicht, das Dachzimmer, die Koffer – alle Details stimmen.

Der Aufruhr ist groß. Die beiden Frauen werden bedroht. Und Robert Blair muss all seinen Grips bemühen, um die Tatsachen herauszufinden.

Und wie erzählt Josephine Tey?

Nett. Immer wieder gibt es einen Schuss Ironie – Selbstironie bei den Figuren oder einen hübschen Seitenhieb der Erzählerpersönlichkeit gegen einige der Figuren.

Die drei dünnen, hohlen Klänge des Gongs tönten mitten in ihren Protest und ließen sie innehalten. Unvermittelt traten dringendere Fragen an die Stelle des Dramas einer geplatzten Verlobung.

„Da ist der Gong. Ich glaube, du nimmst dein Glas lieber mit hinein, mein Junge. Christina trägt die Suppe gern sofort auf …“

S. 235

Ich habe mich gut unterhalten gefühlt.

Dass ich bisher von Josephine Tey nichts wusste, schmerzt mich etwas – schließlich ist sie kein neu aufgegangener Stern am Krimihimmel, sondern schon lange dorthin entschwunden; der Roman stammt von 1948 … Und: Einer ihrer Krimis ist in den 60ern aufs Höchste ausgezeichnet worden – als bester Krimi aller Zeiten ….!

Warnung!

Da der Roman nun schon über 70 Jahre auf dem Buckel hat, sei darauf hingewiesen, dass die Vorstellungen dieser Zeit zu Strafvollzug, Erziehung und die Beurteilung sexuellen (Fehl)Verhaltens nicht den heutigen Standards entsprechen.

Was mir nicht klar ist: Wie ist der Verlag auf den deutschsprachigen Titel mit dem Mond gekommen … ?! Im Original heißt das Buch „The Franchise Affair“ – „Franchise“ ist der Name des Hauses, in dem Marion Sharpe und ihre Mutter leben. Ältere Übersetzungen haben passendere Titel gefunden („Die verfolgte Unschuld“ oder „Der  große Verdacht“)

Josephine Tey: Nur der Mond war Zeuge, übersetzt von Manfred Allié, Oktopus Verlag bei Kampa, Zürich 2021, ISBN: 9783311300001

Es gibt ein Vorwort von Louise Penny, die schildert, wie lange sie des Titels wegen einen Bogen um das Buch gemacht habe. Sie lobt Josephine Tey sehr.

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

2 Comments

  • Maike Claußnitzer

    21. April 2021 at 9:03 Antworten

    Das klingt verlockend! Von Josephine Tey kenne ich bisher nur ihr „Alibi für einen König“ (in dem ein Polizist vom Krankenbett aus versucht, festzustellen, ob König Richard III. vor Jahrhunderten wirklich seine Neffen hat umbringen lassen), und das war auch eine nette Lektüre mit vielen Stellen zum Schmunzeln.

    • Heike Baller

      21. April 2021 at 9:19 Antworten

      Im Original „The Daughter of Time“ – und das ist der Krimi mit dieser Auszeichnung als bester Krimi aller Zeiten. Steht bei mir noch auf der Leselist; ich habe eine englische Version auf dem Smartphone …

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