Major a. D. Ernest Pettigrew hat in einem Anruf seiner Schwägerin vom Tod seines Bruders erfahren. Als es klingelt und er öffnet, steht Mrs. Ali, die Besitzerin des Dorfladens vor seiner Tür, um das Geld für die Zeitung zu kassieren. Vor ihren Augen klappt der alte Mann zusammen und sie handelt: Sie bugsiert ihn ins Haus, brüht Tee auf und die beiden unterhalten sich. Beide sind verwitwet und gestehen einander, dass sie manchmal in Kleidung schlüpfen, die der verstorbene Mensch gern trug. Verlegen vertröpfelt das Gespräch.
Aus diesem Gespräch ergeben sich weitere. Ernest Pettigrew lernt in Mrs. Ali eine belesene Frau kennen, die seinen Humor zu schätzen vermag – der wirklich sehr leise und sehr treffend ist. Eine Freundschaft entsteht. Und im Dorf wird sie argwöhnisch beäugt. Auch Ernests Sohn Roger ist misstrauisch. Denn Mrs. Ali ist pakistanischer Herkunft. Dass sie in England geboren wurde und unglaublich belesen ist, spielt keine Rolle. Sie ist fremd. Ihre Familie, genauer gesagt die ihres verstorbenen Mannes, „kümmert“ sich um sie. So ist da ein Neffe in ihrem Laden tätig, der mürrisch und unfreundlich wirkt.
Im Leben beider Hauptfiguren ist damit ein eher unsympathischer Vertreter der jungen Generation im Spiel: der Neffe von Mrs. Ali und Roger, der einzige Sohn des Majors, der im Gegensatz zu seinem Vater weder Manieren noch Takt oder Mitgefühl besitzt und alles für seine Karriere zu tun bereit ist. Im Hintergrund gibt es noch Schwägerin und Nichte von Ernest Pettigrew, ebenfalls nicht wirklich liebenswert
Helen Simonson entfaltet ein Kaleidoskop dörflichen Lebens in England. Mit seinen Feiern und Vorurteilen, mit der Arroganz junger Menschen gegenüber den älteren (die universal ist) und mit dem langsamen Anwachsen einer Freundschaft, die so ziemlich von Anfang mehr ist als das. Und eins kann ich Ihnen sagen: Es gibt einen richtigen Showdown gegen Ende!
Spannend finde ich die Titelgebung. Das Original heißt „Major Pettgrew’s Last Stand“, also „Major Pettigrews letzte Verteidigungslinie“. In der deutschen Fassung steht Mrs. Ali im Vordergrund. Dabei wird die Geschichte v. a. aus Ernest Pettigrews Sicht erzählt. Letztlich finde ich den Original-Titel passender. Denn er, der Major, ist es, der im Umgang mit dieser energischen, gebildeten und humorvollen Frau kaum bemerkte Vorurteile ändert, der sich öffnet.
Ich mochte beim Lesen den Humor in Major Pettigrews Ausdrucksweise ebenso wie die kleinen Weisheiten, die Mrs. Ali so von sich gab, wie z. B. den Rat, „kleine Blödsinnigkeiten … zu ignorieren, damit sie klein bleiben“ (S. 93).
Es ist ein charmantes Buch, nicht ohne Tiefe und angenehm zu lesen.
Helen Simonson: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft, übersetzt von Michaela Grabinger, Droemer Verlag München, 2013, ISBN: 9783426198858
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