Birgit Dankert befasst sich in ihrer Biografie zu Michael Ende vor allem mit dem künstlerischen Anspruch des Autors. Ich nehme an, dass die meisten genau wie ich, Michael Ende vor allem als Kinder-und Jugendbuchautor kennen. Dabei sah er sich gerade zu Beginn in erster Linie als Bühnenautor. Das macht die Lektür noch mal so spannend, weil ich einen unbekannten Autor entdecken konnte.
Birgit Dankert beginnt ihre Biografie, wie Biografien meistens beginnen: mit der Kindheit. Michael Ende wuchs in einem Künstlerhaushalt auf. Sein Vater war der surrealistische Maler Edgar Ende. Er gilt als wichtiger Vertreter dieser Kunstgattung. Michael Ende erzählt selber davon, wie es war, wenn der Vater ein Bild vollendet hatte. Mit Freunden saß man vor dem Bild, man diskutierte nicht, man schaute und der rund achtjährige Michael war mittendrin. Die Familie war anthroposophisch orientiert, durchaus christlich, aber keiner der gängigen Konfessionen zugehörig. In der Nazizeit galten die Bilder des Vaters als „entartet“ – sie zu verkaufen war schwierig. Schon früh wurde in der Familie kritisch über das Naziregime diskutiert. Die Zurschaustellung einer ehemaligen Nachbarin aus Garmisch, die Reaktion der Umgebung und vor allem das Verhalten ihres Ehemanns, der ordengeschmückt in seiner Weltkriegsuniform neben ihr Wache stand, war ein wichtiges Thema in der Familie. Später fand die Geschichte Eingang in Michael Endes „Zettelkasten“.
Der Teenager erlebte in Hamburg den großen Bombenangriff. Den kurz vor Kriegsende an ihn ergangenen Stellungsbefehl missachtete er. Neu war für mich die Strategien der Jungen, im Fall eines solchen Stellungsbefehls einen Antrag auf Aufnahme in die SS zu stellen; bis die Formalia und Prüfungen abgeschlossen wären, so hofften sie, sei der Krieg zu Ende.
Birgit Dankert folgt in ihrem Text den Publikationen von Michael Ende, erzählt auch meist kurz den Inhalt der Geschichten nach. Doch ihr Schwerpunkt liegt auf dem theoretischen Anspruch, den Michael Ende vertrat. Die Vereinnahmung seiner Geschichten, insbesondere von „Momo“ und „Die unendliche Geschichte“, durch verschiedene Gruppen, seien sie politisch, spirituell oder ökologisch angetrieben, passte dem Autor gar nicht. Andererseits ließ er sich durchaus auf Diskussionen mit seinen Fans ein, die beispielsweise in seinem Garten in Italien, wo er seit Mitte der sechziger Jahre lebte, kampieren wollten.
Wer sich also auf die Biografie von Birgit Dankert einlässt, erfährt grundsätzlich viel über den äußeren Lebensablauf des Michael Ende, noch mehr aber über seine Haltung gegenüber seiner Dichtung und sein Kunstverständnis. Und was in anderen Biografien viel Raum einnehmen würde, seine Affären, seine Ehen – sie sind Thema, ja, aber Birgit Dankert handelt sie völlig unaufgeregt ab. Nur wo sie auf den Dichter Michaele Ende einwirken, erhalten seine Ehefrauen Ingeborg Hoffmann und Mariko Sato mehr Raum. Ähnlich wie bei ihrer Biografie über Astrid Lindgren geht Birgit Dankert bei Leben und Werk des Autors ziemlich in die Tiefe, beschränkt sich nicht auf die äußeren Umstände. Die Auseinandersetzungen, die Michael Ende in seinem Leben durchmachte, sind komplex; sie betreffen seine familiäre Situation, seine Einstellung gegenüber seinem Vater, sein Leid an mangelnder Anerkennung auf dem Gebiet, das ihm wichtig war und sein anthroposophisch gefärbtes Grundgefühl gegenüber dem Leben. Und natürlich sein Selbstverständnis als Autor.
Birgit Dankert schreibt pointiert, differenziert und äußerst kenntnisreich. Ich habe für die Lektüre ein bisschen gebraucht. Die Biografie ist nichts für „schnell mal eben so nebenbei“, aber auf jeden Fall lohnenswert.
Birgit Dankert: Michael Ende. Gefangen in Phantásien, Lambert Schneider, Darmstadt, 2016, ISBN: 9783650401229
, E-Book: 9783650401410
Die Stadtbibliothek Köln hat das Buch auch.
PS: Ich hab übrigens auch deshalb was länger gebraucht, weil ich die bei mir vorhandenen Bücher von Michael Ende immer erst mal lesen musste – von Jim Knopf bis hin zur unendlichen Geschichte … 😉
monerl
5. Februar 2019 at 9:40Guten Morgen liebe Heike,
das liest sich total spannend! Ich kenne ihn auch „nur“ als Autor vieler Kinderbücher. Dass er sich noch anders gesehen hat, ging durch die Fokusierung auf ein paar seiner Werke, total unter. Ich werde die Biografie im Auge behalten. Eine schöne Rezension ist dir gelungen, die ich gerne teilen werde.
GlG, monerl
Heike Baller
5. Februar 2019 at 10:14Liebe Monerl,
Danke für die Blumen 🙂
Ich weiß, dass ich damals das „Gauklermärchen“ – direkt in der Buchandlung gelesen, ohne es zu kaufen .. – nicht gefallen hat. Auch die Operversion mit der Musik von Konzelmann war nicht so meins. Aber mit den Informationen aus der Biographie gebe ich den Sachen noch mal ’ne Chance. Es kann aber immer sein, dass jemand seine Talente an anderer Stelle sieht als seine Umgebung.
Liebe Grüße, Heike