Auch wenn der Debutroman von Cäcilie Kowald den Titel „Menschenkette“ trägt, entfaltet sie darin doch eher ein Netz an Beziehungen zwischen ihren sehr unterschiedlichen Protagonist*innen.
Worum geht es in „Menschenkette“?
Wie über Cäcilie Kowald in dem kleinen Autorinnenprofil am Ende zu lesen steht, war sie selber 1983 Teil der Menschenkette, die sie im Buch schildert. Es war eine der Protestaktionen gegen den NATO-Doppelbeschluss, nach dem in der Bundesrepublik Deutschland Atomraketen stationiert werden sollten. Am 22. Oktober 1983 protestierten hundertausende dagegen – als Menschenkette zwischen der Befehlszentrale der US-Streitkräfte in Stuttgart-Vaihingen bis zu den Wiley Barracks in Neu-Ulm. 108 km. Und entgegen der Erwartung vieler kam diese Kette zustande. Ja, an manchen Stellen knubbelte man sich sogar in Dreierreihen.
Damit diese Kette zustande kommt, machen sich bei Cäcilie Kowald eine ganze Reihe von Menschen auf den Weg:
- die Referendarin Marlene Boenisch
- ihr Mentor Werner Semrau
- seine Tochter Franzi
- sein Schüler Oliver
- Marlenes Schwester Ulrike
- Irmela Bender
- ihr Sohn Wilfried
… und noch einige mehr.
Der 22. Oktober 1983 ist der Tag – und jedes Kapitel hat eine Uhrzeit als Überschrift, von morgens halbsieben bis viertel vor eins am Mittag..
Darunter versammeln sich dann die Erlebnisse und Gedanken der verschiedenen Leute, besonders von Werner, Marlene, Oliver, Ulrike, Wilfried und Irmela. Je weiter der Tag voranschreitet, desto deutlicher wird, wer hier wen kennt, mit wem verwandt oder sonstwie verbandelt ist.
Und: Wie unterschiedlich sie alle sind.
Während Marlene ihrer alten Liebe Boris nachtrauert – der auch kommt, übrigens -, geht sie in der Stadt, an deren Schule sie unterrichtet, zu Schweigedemonstrationen gegen die Aufrüstung. Ihre Schwester Ulrike, die seit der Kindheit schwerhörig ist und in einer Kommune lebt, ist wesentlich robuster, ist aber durch ihre Beeinträchtigung vor allem eine Beobachterin.
Irmela Bender stellt in ihrem Ort, von dem aus die Demomnstrant*innen auf die Straße ziehen, ihre praktisch gelegene Toilette zur Verfügung – zum Verdruss ihres älteren Sohnes, der im Gegensatz zu seinem Bruder Wilfried mit Randale rechnet und diesen „Spinnern“ ablehnend gegenübersteht. Wilfried seinerseits begleitet eine Gruppe aus seiner Gemeinde zur Demonstration.
Cäcilie Kowald schlüpft abwechselnd in die Haut dieser Leute und lässt in inneren Monologen ihre Gedanken und Erfahrungen aufleuchten. Ja, sie sind alle unterschiedlich – und trotz ihrer teils völlig unterschiedlichen Gründe, stehen sie am Ende in dieser Menschenkette.
Wie schreibt Cäcilie Kowald?
Sehr nah dran – ich nehme ihr jeden ihrer Charaktere ab. Besonders gelungen finde ich in den Dialogen mit den Einheimischen die zarte Andeutung von Dialekt – es ist nicht aufgesetzt und vermittelt doch einen lebendigen Eindruck. Der Kabarettist, der im Zug Helmut Kohl imitiert, ist so echt, dass ich den vielzulangjährigen Kanzler förmlich hören kann. – Sprache kann Cäcilie Kowald.
Mein Rechercheurinnenherz lacht dann besonders, wenn ich mir anschaue, wie sie die Geschichte mit kurzen Einwürfen aus Reden, Zeitungsartikeln und offiziellen Verlautbarungen punktiert. Wer nicht so genau weiß, worum es damals ging, bekommt peu à peu die nötigen Informationen – immer passend zu den Gedanken einer der Personen.
Ich habe das Buch wirklich geossen und kann es empfehlen.
Cäcilie Kowald: Menschenkette, 8 grad Verlag, Freiburg, 2022, ISBN: 9783910228054
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