125 Jahre wäre Vicki Baum dieses Jahr geworden – Anlass für mich, ihren erfolgreichsten Roman mal wieder in die Hand zu nehmen (und in die Hand nehmen zu lassen – alle meine Literaturkreise haben sich auch damit befasst).
Ist Ihnen klar, dass Vicki Baum mit diesem Werk eine neue Gattung erschaffen hat? Den Hotel-Roman nämlich. Sie schrieb das Buch in drei Monaten und die immer wieder kolportierte Anekdote, sie habe zu Recherchezwecken vier Wochen als Stubenmädchen in einem Grand Hotel gearbeitet, weist ihre Biographin Nicole Nottelmann zurück – das sei ein Marketing-Gag gewesen. Der ironisch gemeinte Untertitel „Ein Kolportageroman mit Hintergründen“ ist schon in der zweiten Auflage verschwunden. Das Buch war ein Erfolg und wurde 1:1 als Buch, als manchmal bewegender, manchmal heiterer Roman gelesen. Vicki Baum dagegen hatte vor, mit dem Genre des Kolportageromans zu spielen, ihn ironisch zu brechen … Tja.
Das Buch war so erfolgreich, dass es als erstes ihrer Bücher ins Englische übersetzt wurde und Hollywood Interesse an der Verfilmung hatte. Das Ergebnis ist bekannt.
Worum gehts überhaupt? Im Grand Hotel treffen folgende Menschen aufeinander:
- Dr. Otternschlag, der den ganzen Tag in der Hotelhalle sitzt, ein Kriegsversehrter mit pessimistischer Grundhaltung.
- Baron von Gaigern, ein halbseidener Lebemann, der mit dem Diebstahl der Grunsinskaja-Perlen wieder flott zu werden hofft,
- die Grunsinskaja, eine alternde Tänzerin, die weiter tanzt, obwohl niemand sie mehr sehen will
- Kringelein, ein kleiner Angestellter, der mit der Diagnose, nur noch drei Wochen Leben vor sich zu haben, anreist, um einmal „richtig“ zu leben
- Direktor Preißing, sein Chef, der sich bemüht, einen internationalen Geschäftsabschluss zu tätigen
- Flämmchen, eine junge Frau, die sehen muss, wo sie bleibt
Baum arbeitet mit Cliffhangern, indem sie an spannenden Stellen die Szene verlässt und sich einer anderen Figur zuwendet. Zusammen ergibt sich ein dichtes Geflecht von Beziehungen. Baum nutzt Stilmittel der Neuen Sachlichkeit, besonders bei ihren Schilderungen der Großstadt. Auch ihre Figurenezichnungen sind gern etwas distanziert. Und obwohl da wirklich schräge Typen dabei sind, schafft sie es, keine ihrer Figuren nur bloßzustellen – irgendwie hat dann jede etwas Liebenswertes oder Verletzliches.
Ich kann verstehen, dass dieser Roman ein Bestseller war und habe ihn gern und mit Vergnügen gelesen.
Vicki Baum: Menschen im Hotel, KiWi, Köln, 2007, ISBN: 978-3462037982
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