Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich von Nora Hespers

Mein Opa, sein Widerstand gegen die Nazis und ich von Nora Hespers

Ein Geständnis vorweg: So sehr ich den Podcast „Was denkst du denn?“ von Nora Hespers und Rita Molzberger liebe – in „Die Anachronistin“ bin ich nie so richtig „reingekommen“. Vielleicht jetzt, nachdem ich das Buch dazu gelesen habe? Denn das hat mich gefesselt.

Nora Hespers erzählt darin – drei Geschichten …

Der Großvater von Nora Hespers war ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis und ist am Ende von ihnen ermordet worden. Das ist die eine Geschichte. Die Geschichte, die Nora von Kindesbeinen an kennt, denn ihr Vater erzählt sie dauernd.

Dieter Hespers war beim Tod seines Vaters 12 Jahre alt. Und er hat immer und immer wieder die Geschichte seines Vaters erzählt. Den er viel zu früh verloren hat. In zweiter Ehe hat er zwei Töchter – eine davon heißt Nora. Das ist die zweite Geschichte.

Nora war die Großsprecherei des Vaters immer etwas peinlich. Ja, der Opa war ein Widerstandskämpfer. Ja, sie wollte über ihn mal was schreiben. Aber geht es vielleicht auch ’ne Nummer kleiner beim Erzählen? Nora Hespers arbeitet als Journalistin, befasst sich dann mit der Geschichte ihres Großvaters und beobachtet gleichzeitig, wie rechtes Gedankengut, Gewalt und Mord und politisches Untätigkeit um sie herum grassieren – das ist die dritte Geschichte.

Alle drei Ebenen sind miteinander verwoben. Nora Hespers bemüht sich, die verschiedenen Stränge nachvollziehbar zu machen – das schafft sie – und dabei gut zu erzählen; das schafft sie auch.

Es ist ein sehr persönliches Buch; es geht um Familiengeschichte, um Traumata von Kriegskindern und –enkeln, um die daraus resultierenden Disfunktionalität genau dieser Familie.

Der Stolperstein für Theo Hespers, den Großvater von Nora hespers. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Moenchengladbach_Stolperstein_Theo_Hespers.JPG

An einer Stelle erzählt Nora Hespers, dass sie mit der Enkelin eines SS-Offiziers gemeinsam auf der Bühne für einen TED-Talk steht – beide mit dem Ziel, deutlich zu machen, dass so etwas wie die Herrschaft der Rechten nie wieder passieren darf. Das ist genau choreografiert. Und am Ende stehen die beiden nebeneinander:

Es ist Stephanie Borgert, die mit unserem Schlusswort beginnt: „Und hier stehen wir: Die Enkelin eines Widerstandskämpfers – und die Enkelin eiens SS-Offiziers. Hier stehen wir Seite an Seite und sprechen von unserer Angst in der Gegenwart und unserer Hoffnung für die Zukunft.“

Ich: „Gemeinsam haben wir eine Botschaft für Sie: ‚Nie wieder Faschismus.‘ Es liegt an uns, die Zukunft zu gestalten.“

S. 281

Da hatte ich Tränen in den Augen. Nur beim Lesen. Hier ist das Video dazu. Das hab ich erst danach geguckt.

Der Bogen von der Nazizeit zu heute, wie Nora Hespers ihn schlägt

Nora Hespers behält immer auch das Größere und das Heute im Blick: Was machen die aktuellen Kriege und unfreiwilligen Migrationsbewegungen, die Gewalterfahrungen und Verluste mit den Menschen? Mit denen, die sie erleiden? Mit denen, die damit empathisch umgehen? Und was resultiert aus der Instrumentalisierung von Ängsten in den Medien und in der Politik? Dazu ein paar Zitate:

Ich möchte wirklich niemanden von der Verantwortung für die eigenen Entscheidungen freisprechen, aber ich kann dennoch nachvollziehen, woher Frust und Wut kommen, warum sich Menschen von der Politik alleingelassen fühlen oder glauben, dass Geflüchtete bevorzugt behandelt werden. Trotzdem möchte ich wetten: Im konkreten Fall würde niemand mit einem Geflüshteten die Rollen tauschen wollen.

(…) Es ist also wesentlich leichter, seinen Frust und seine Wur da (bei den Geflüchteten, H. B.) abzulassen, als die Konfrontation mit den Politiker:innen zu suchen. Oder den mühsamen und oft langwierigen Weg der demokratischen Bürokratie zu beschreiten.

S. 195

Immer wieder wird in den Medien von rechten Demonstrationen berichtet – die Zahlen sprechen nicht dafür, dass die Rechten so viel Platz beanspruchen:

Aber selbst bei den unter strengen Hygienauflagen stattfindenden „Black lives matter“-Demonstrationen gegen Rassismus und rassisstische Polizeigewalt sind deutschlandweit deutlich mehr Menschen auf die Straße gegangen. Nur um die Relationen nicht aus den Augen zu verlieren: Laut und dreist ist nicht zwingend gleichbedeutend mit relevant.

S. 391

Ein Spruch für die Medien und alle, die Nachrichten teilen …

Warum passieren Kriege, Gewaltherrschaft, was fasziniert daran und warum lassen Menschen, die dagegen sind, es geschehen?

Wir sind belastbarer und anpassungsfähiger, als uns auf lange Sicht guttut. Denn natürlcih arrangieren sich Menschen in autoritären Systemen, auch ohne sie aktiv zu unterstütze oder gut zu finden. Und wirr täten gut daran, jenen Menschen zuzuhören, die uns davon erzählen können, welche netgativen Folgen das für sie hatte. (…) Natürllich überleben Menschen in Diktaturen. Aber sie zahlen einen hohen Preis. Einen Preis, den auch Generationen nach ihnen noch zahlen.

S. 408

Ist Schreibstil bei so was wichtig?

Na ja, ein bisschen.

Ich kenne wie gesagt Nora Hespers v. a. vom Podcast „Was denkst du denn?“ – ihre Stimme, ihre Art zu sprechen und ihre Gedanken zu entwickeln sind mir also recht vertraut, wenn man das so sagen darf. Und ich habe sie beim Lesen ihres Buchs sprechen gehört. Vor allem in „ihrem „Teil“. Wo es um unsere Zeit geht. Um die, die anderen das blanke Lebensrecht absprechen. Verschwörungsmythen anhängen. Andere als „nicht zugehörig“ aus ihrem Leben und dem Land vertreiben wollen – die Liste rechter Hetze und Straftaten ist lang, auf die sie sich da bezieht. Und am schlimmsten sind die Morde … Ihr Stil ist da direkt und unvermittelt; sehr angemessen, fidne ich.

In der Podcastfolge „In Stein gemeißelt“ ist der Schreibprozess das Thema. Und Nora Hespers sagt über ihre Absicht, sie wolle so schreiben, als würde sie es erzählen, einem Gegenüber – eindringlich und klar.

Das tut sie.

Ich kann das Buch nur wärmstens empfehlen!

Nora Hespers: Mein Opa, sein Widerstand gegegn die nazis und ich, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2021, ISBN: 9783518471630

PS: Noch eine persönliche Anekdote: Nora Hespers schildert, dass sie mit ihrem Vater auftreten musste – ungefähr 12 Jahre alt und mit einem Akkordeon, dem nach ihrem Worten „wohl uncoolste(n) Instrument überhaupt.“ (S. 211). Die Begründung für dieses Instrument kommt mir ach so vertraut vor: Ein Klavier passt nicht ins Haus; genau aus dem Grund hab auch ich ein paar Jahre Akkordeon gespielt – immerhin kann ich mit der rechten Hand nun das Klavier bedienen, das bei uns einen Platz gefunden hat 😉

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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