Man hat etwas gegen Sie vor von Mario Kramp

Man hat etwas gegen Sie vor von Mario Kramp

„Man hat etwas gegen Sie vor“ ist ein Zitat aus einem Warnschreiben, das Kurt Tucholsky 1928 in Köln erhielt. Er sollte einen Vortrag halten – im Saal des Kunstvereins am Friesenplatz, organisiert vom Buchhändler Paul Wolfsohn. Thema: „Frankreich heute“. Rund zehn Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs ein durchaus schwieriges Thema.

2023 jährt sich die Bücherverbrennung unter den Nazis zum 90. Mal. Kurt Tucholsky und seine Schriften gehörten – selbstverständlich! – zu den Büchern, die auf den Scheiterhaufen der Antiaufklärung landeten. Die Vorgeschichte dazu, oder zumindest ein Teil, findet sich in diesem schmalen Band. Deshalb können Sie sie als Auftakt betrachten – das Thema wird hier wohl noch häufiger vorkommen.

Was findet sich in „Man hat etwas gegen Sie vor“?

Mario Kramp hat anhand von Zeitungsartikeln aus Köln und dem Rheinland nachvollzogen, wie Kurt Tucholsky mit seinen Lesungen und Vorträgen in den Jahren 1928 und 1929 aufgenommen wurde. Zu seinen Quellen gehören auch Erinnerungen von Hans Mayer, der als Student dabei gewesen ist.

Die Warnung, aus der der Titel des schmalen Bändchens stammt, wurde recht konkret – nach Informationen des anonymen Verfassers sollte Kurt Tucholsky verprügelt werden. Die Stimmung war also bereits 1928 ziemlich aufgeladen – das verschlimmerte sich im Laufe der Zeit und Kurt Tucholsky zog irgendwann die bekannte Konsequenz: Er verstummte.

Mario Kramp zitiert aus den verschiedenen Zeitungen, die damals in Köln gedruckt wurden und verschiedenen politischen Richtungen angehörten, so dass die unterschiedliche Einordnung von Tucholskys Werk und konkret von seinen Vorträgen in Köln deutlich wird. Eher liberale Zeitungen lobten seine Auftritte, während der „Rheinische Beobachter“ ihn verteufelt. Die ausführlichen Zitate aus den Zeitungen lassen mich wünschen, den glänzenden Rhetoriker mal selbst erlebt zu haben – er muss schon sehr mitreißend gewesen sein …

Auch die Briefe Tucholskys an seine Ehefrau Mary geben Einblick in diese Zeit. Wobei er eben nicht nur in Köln unterwegs war, sondern auch in anderen Städten, ja, eine ganze Reise den Rhein entlang mit Freunden – und teilweise mit seiner Geliebten – absolvierte.

Das Ganze ordnet Mario Kramp in das Leben Tucholskys ein:

  • das Zusammensein mit seinen Freunden
  • das Scheitern seiner Ehe
  • die Affäre mit seiner Geliebten
  • seine frühzeitigen Warnungen vor dem Faschismus

Mario Kramp macht deutlich, wie auch die Erlebnisse im Rheinland und Köln dazu führten, dass Kurt Tucholsky verstummte. Seine letzte Zeichnung aus seinem Sudelbuch von 1935 findet sich also auch in dem Bändchen „Man hat etwas gegen Sie vor“.

Schwarz-weiß-zeichnung. Eine Treppe drei Stufen als Kästchen miteinadner verbunden in der Reihenfolge: Sprechen, Schreiben, Schweigen.
Aus Tucholskys Sudelbuch von 1935

Weitere Protagonisten

Kurt Tucholsky selbst war darauf angewiesen, dass ihn Veranstalter zu Lesungen oder Vorträgen einluden. In Köln war das einerseits der schon erwähnte Buchhändler Paul Wolfsohn. Auch der Intendant des Westdeutschen Rundfunks lud ihn ein und setzte sich damit heftiger Kritik aus. Am Ende seines Buches stellt Mario Kramp die weiteren Lebensläufe derer vor, die im Zusammenhang mit den Auftritten in Köln eine Rolle spielten. Besonders beeindruckend finde ich dabei die Passage, die er aus Äußerungen des Intendanten Ernst Hardt von 1932 zusammengestellt hat:

Am „großen Ruhm der deutschen Wissenschaft“ würde er gern teilhaben, „obwohl dieser Ruhm dem Genie des deutschen Juden Einstein zu verdanken“ sei. Seine Kinder würde er bei Diphtherie „ruhig mit dem Serum der mischblütigen Exzellenz von Behring impfen lassen“, und er gestehe offen, „dass ich mich nicht ängstigen würde, mich mit dem von dem deutschen Juden Ehrlich entdeckten Salvarsan behandeln zu lassen …“

S.67

Eine mutige Aussage – und er bezahlt sie mit dem Verlust seines Jobs.

Insgesamt stellt Mario Kramp mit seinem kleinen Büchlein die recht kurzen Episoden aus Tucholskys Leben, die mit Köln in Verbindung stehen, in einen größeren Zusammenhang. Es ist ein gut lesbarer kleiner Band, der an einer kleinen Stelle einen tieferen Einblick in das Leben Tucholskys gibt, die Stimmung dieser Jahre heraufholt und gleichzeitig zum Beispiel die Presselandschaft Kölns ein bisschen durchsichtiger macht.

Mario Kramp: Man hat etwas gegen Sie vor. Kurt Tucholsky in Köln 1928/29 Gretchen Verlag, Köln, 2022, ISBN:9783774309524

Published byHeike Baller

Bis zum Morgen schmökern, Kissen nass weinen, bei der Bahnfahrt mal eben los gackern – das alles und noch einiges mehr bedeutet Lesen für mich. Naja, die Nächte lese ich nur noch selten durch, da melden sich doch zu penetrant die erwachsenen Bedenken in Sachen „Wecker am Morgen“ … Aber in der Bahn können Sie mich immer mal wieder grinsend oder kichernd erleben. Mit einem Buch vor der Nase. Da ich außerdem gerne mit anderen über das, was ich gelesen habe, diskutiere, habe ich dieses Blog gestartet. Leselust, das ist es, was mich antreibt, immer neue Bücher zu kaufen, zu leihen und vor allem zu lesen. – Vorlesen tu ich übrigens auch gern.

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