Sagt Ihnen der Name Lili Grün etwas? Ich kannte sie nicht, bis ich für 2023 zum Thema verbrannte Bücher mögliche Autor*innen für meinen Vortrag recherchierte. Damit können Sie sich schon denken, aus welcher Zeit ihre Texte stammen. Als „Asphaltliteratur“ von den Nazis verunglimpft, hatte sie nach dem „Anschluss“ Österreichs keine Publikationsmöglichkeit mehr und wurde am 1.6.1942 im Alter von 38 Jahren im Konzentrationslager Maly Trostinec ermordet.
Wer war Lili Grün?
Da es zu ihr einen ausführlichen Wikipedia-Artikel gibt, fasse ich mich kurz:
Lili Grün wurde in Wien geboren, lebte eine Zeitlang in Berlin. In Wien absolvierte sie wohl eine Schauspielausbildung, jedenfalls spielte sie an verschiedenen Theatern. In Berlin gründete sie ein Kabarett mit und trat mit eigenen Texten auf, die durchaus ankamen. Das Kabarett lebte aber nur wenige Wochen. Ihre finanzielle Lage war prekär, ihre Gesundheit deswegen angeschlagen. Einen Aufenthalt in Paris musste sie 1934 deshalb beenden und fand sich, arm und krank, in Wien wieder. Sie verfasste nach ihrem erfolgreichen Roman-Debut von 1933, „Herz über Bord„, noch zwei weitere Romane. Nach 1938, dem so genannten Anschluss Österreichs, wurde sie als Jüdin verfolgt, mehrfach zwangsumgesiedelt und im Frühjahr 1942 ins KZ Maly Trostinec deportiert, wo sie ermordet wurde.
Und „Mädchenhimmel!“?
In diesem Band hat Anke Heimberg einiges an Kurzprosa und Lyrik der jungen Dichterin versammelt. Ein Gedicht hat mich besonders berührt:
EINZELHAFTPSYCHOSE
Ich weiß nicht mehr, wie meine Stimme klingt,
Ich glaub, ich habe seit Tagen nicht gesprochen.
Ob man sich etwas aus der Zeitung liest?
„In Neukölln hat einer seine Frau erstochen – –“
Ach nein, es ist schon besser, wenn man etwas singt.
Ich lege fest meine beiden Arme um mich
Und sage ins dunkle Zimmer: Ich liebe dich –
Weißt du, einmal an einem Sonntagnachmittag, wie heut,
Da war ich ganz allein – und ich tat mir so leid –
Doch jetzt ist alles gut, denn jetzt bist du da –
Und du bist so gut und du bist so nah …
Ich warte, ob drauf niemand etwas sagen will,
Aber im Zimmer ist’s noch immer still,
Und ich höre keinen.
Da leg’ ich meine beiden Hände vors Gesicht
Und kann endlich weinen …
Im Wikipedia-Artikel über Lili Grün heißt es, sie schildere die Situation der modernen jungen Frau mit ihrer Einsamkeit. Kann man so sagen, nicht wahr?
Die Kurzprosa im Band „Mädchenhimmel“ ist wirklich kurz – maximal drei Seiten in dem schmalen Layout – und sehr auf den Punkt. Dabei trotzdem gern etwas indirekt – ein Beispiel aus „Engagementlos“:
Es ist gut, wenn man an Wunder glauben kann. Die Wirtin scheint das nicht zu tun. Sie erwidert den Gruß überhaupt kaum und schlägt die Türe hinter sich zu. Man soll ihr nicht nachsagen, dass sie erst an dem Tag unhöflich geworden ist, an dem sie kein Geld bekommen hat.
Man hat Wege. Das heißt, man sitzt stundenlang in irgendwelchen Vorzimmern und fünf Minuten vor irgendwelchen Großmächten. Die jungen mit den Hornbrillen, das sind die Regisseure. Die älteren mit dem Monokel, das sind die die Direktoren. „Ich wollte mich wieder in Erinnerung bringen“, flüstert man mit versagender Stimme …
S. 78
Lili Grün wird gern mit Irmgard Keun verglichen – inhaltlich stimmt das. Im Stil ist Lili Grün etwas konventioneller als Keun, aber nicht weniger gekonnt. Sie zählt zu den Autor*innen der Neuen Sachlichkeit. Eins ihrer Themen: die Lebenssituation junger Frauen – ohne Engagement – in Zeiten, in denen es so vielen schlecht geht; da ist es kein Wunder, dass auch der „Mädchenhimmel!“ voller guter Dinge hängt:
MÄDCHENHIMMEL! Wenn ich auch nichts von den Dingen versteh’, Eins weiß ich genau: Es gibt ein eigenes Paradies für die Frau. Für uns, die wir den ganzen Tag dienen In dunklen Büros bei den Schreibmaschinen. Dort sind wir den ganzen Tag ausgeschlafen, Und schon zum Frühstück gibt’s Sahne und Kuchen, Und da soll mal einer versuchen, uns was zu schaffen! Na, ich danke, der hat nichts zu lachen! Und in der ewigen Seligkeit Bekommen wir täglich ein neues Kleid. Und jeden Abend wird ausgegangen In einem Kleid mit richtigem Dekolleté In ein Theater oder Konzertcafé! Und statt der verdammten Schreibmaschine Bekommt jede von uns eine Limousine! Dort ziehen wir mit einer Jazzbandkapelle mal ein, Und die Frau vom Chef darf nicht hinein! Au fein! Ich werde mich mal nach den Romanen von Lili Grün umschauen – die Auswahl an Lyrik und Kurzprosa im Band „Mädchenhimmel!“ hat mir gut gefallen.
Lili Grün: Mädchenhimmel! Gesammelt, herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg, Aviva Verlag, Berlin, 2014, ISBN: 9783932338588
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